Frachttransport Europaletten umgehen im Rohr Zeitverzögerungen und Verkehrsstaus

Autor / Redakteur: Dirk Schedler / Dipl.-Betriebswirt (FH) Bernd Maienschein

Die Ruhr-Universität Bochum entwickelt zur Zeit ein innovatives Konzept, mit dem Waren in dicht besiedelten Ballungsräumen durch unterirdische Fahrrohrleitungen transportiert werden sollen. Auf einer Modellstrecke im Maßstab 1 : 2 werden jetzt unter anderem Antriebstechnik, Steuerung und Zuverlässigkeit des Systems geprüft.

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In der Bundesrepublik Deutschland hat der Verkehrsweg Straße seine Leistungsgrenzen erreicht. Immer mehr Staus und Verzögerungen verwandeln das deutsche Autobahnnetz zum Parkplatz – laut ADAC herrscht auf 10% des 11000 km langen deutschen Autobahnnetzes täglich Stillstand. Die damit verbundenen Kosten erreichen derzeit eine Größenordnung von rund 100 Mrd. Euro pro Jahr.

Diese Situation wird sich in den kommenden Jahren noch weiter verschärfen. Bis zum Jahr 2020 wird sich – verglichen mit 1997 – der Straßengüterverkehr nahezu verdoppeln. Bei wachsender Bedeutung der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung sowie einer Europäisierung der Wirtschaft wird der Güterverkehr auf der Straße für viele Unternehmen damit immer mehr zu einem Risikofaktor, weil die Anlieferung von Gütern, Produktionsmaterialien und Halbzeugen kaum noch zeitlich kalkulierbar ist. Außerdem hat der Massentransport von Waren und Gütern auf der Straße weit reichende ökologische Konsequenzen, die mit zunehmendem Straßenverkehr Belastbarkeitsgrenzen überschreiten.

Schnell, zuverlässig und genau

Als Lösung dieses Problems entwickelt ein interdisziplinäres Forscherteam der Ruhr-Universität Bochum unter Leitung von Prof. Dr.-Ing. Dietrich Stein zur Zeit Cargo-Cap, ein unterirdisches Transportsystem für Güter. In 1,6 m breiten Röhren sollen bei diesem Projekt zukünftig computergesteuerte Fahrzeuge Güter innerhalb von Ballungszentren transportieren – zum Beispiel zwischen einzelnen Unternehmensstandorten von Werkbank zu Werkbank oder zwischen Zentrallager und Vertriebs- oder Verkaufsstellen. Die so genannten „Caps“ befördern dabei bis zu zwei Europaletten mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 36 km/h.

Durch die Beladung mit nur zwei Europaletten pro Cap ist eine hohe Ladungs- und Verteilungsflexibilität der Waren gewährleistet. Ist mehr Ware an einen Zielort zu liefern, fahren einfach mehrere Caps abstandsgeregelt im Verbund. Die Planungen sehen vor, eine erste, rund 80 km lange Strecke vom Duisburger Hafen bis zum Dortmunder Flughafen zu führen. Sie verbindet 24 Stationen mit wichtigen logistischen Zentren wie zum Beispiel Innenstädte und Gewerbegebiete.

Wirtschaftliche Alternative

In einem gemeinsamen Gutachten, das die Ruhr-Universität Bochum mit der Projekt Ruhr GmbH bei der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft (IABG), Berlin, dem Zentrum für Logistik und Unternehmensplanung GmbH (ZLU) und dem Ruhr-Forschungsinstitut für Innovations- und Strukturpolitik e. V. (Rufis) in Auftrag gab, wird bestätigt, dass dank der deutlich niedrigeren Betriebskosten des Cargo-Cap-Systems eine derartige Strecke betriebswirtschaftlich gleichwertig mit dem Lkw ist.

Dabei berücksichtigt diese Rechnung nicht einmal einen besonderen Vorteil von Cargo-Cap: die geringen so genannten „externen Kosten“. Denn Folgekosten von Unfällen, Lärm oder Luftverschmutzung, die typisch für den oberirdischen Straßengüterverkehr sind, fallen bei dem unter Federführung von Prof. Dr.-Ing. Dietrich Stein, Fakultät für Bauingenieurwesen, entwickelten System nicht an.

Ein großer Schritt in Richtung der Realisierung des Transportsystems ist der Aufbau einer Modellstrecke im Maßstab 1 : 2. Sie ermöglicht die Untersuchung der elektro- und maschinenbautechnischen Aspekte, die nur in einem dem Realbetrieb vergleichbaren Versuchsbetrieb möglich sind, und erlaubt darüber hinaus einen Ausblick auf die Eignung des Cargo-Cap-Systems in seinem logistischen Umfeld.

Nach Überzeugung von Dr.-Ing. Jan Scholten, der als Juniorprofessor und Leiter des Lehrstuhls Maschinenelemente und Fördertechnik das Projekt begleitet, muss die Betriebssicherheit und Zuverlässigkeit der Fahrzeuge in einem unterirdischen Transportsystem garantiert sein. Auf der Modellstrecke können alle Systemkomponenten ausführlich getestet werden.

Die Forscher der Ruhr-Universität installieren dazu ein rund 160 m langes Schienensystem mit den zugehörigen Energieversorgungs- und Steuerungseinrichtungen, auf dem bis zu drei Fahrzeuge – automatisch gesteuert – fahren können. Von einem Leitstand aus lässt sich der Fahrbetrieb kontinuierlich überwachen. Um in der Phase der Inbetriebnahme den direkten Zugriff auf die Fahrzeugprototypen zu jedem Zeitpunkt zu gewährleisten, wird die Modellstrecke oberirdisch und zunächst ohne Rohrleitungen aufgebaut.

Kontaktloser Weg der Energieübertragung

Weil Verschleiß in den unterirdisch verlegten Fahrrohren möglichst vermieden werden soll, werden Energie und Informationen kontaktlos übertragen. Im Movitrans-System wurde dafür eine Up-to-date-Technik gefunden, die sich schon in der Praxis bewährt hat.

Die gesamte Antriebstechnik für die Cargo-Cap-Modellstrecke hat SEW-Eurodrive als schlüsselfertige Komplettlösung geliefert. So besteht das Projekt nicht aus einer zusammengestückelten Lösung und es gibt nur einen Ansprechpartner, der für die gesamte Antriebstechnik verantwortlich ist – ein deutlicher Vorteil der Systempartnerschaft.

Bei Movitrans handelt es sich um ein generell wartungsfreies System. Schleifkontakte oder bewegliche Leitungen sind nicht mehr erforderlich, die Energieübertragung erfolgt nach dem Transformatorprinzip. Die drei Testfahrzeuge der Modellstrecke erhalten die benötigte Energie über je zwei Übertragerköpfe, die bis zu 4  kW liefern.

Den Antrieb übernehmen pro Cap zwei SEW-Servomotoren vom Typ CM in der Baugröße 71. Mit ihnen erreichen die maximal 350 kg schweren Fahrzeuge eine Geschwindigkeit von bis zu 10 m/s. Die Steuerung der Antriebe erfolgt dezentral über Movipro, das die benötigten Informationen ebenfalls kontaktlos über einen Leckwellenleiter von dem stationären Segment-Controller erhält.

Laut Scholten soll die Technik, die hier auf der Teststrecke eingesetzt und entwickelt wird, auch später im realen System verwendet werden. Das Projekt ist ein Beleg dafür, dass eine schnelle und zielgerichtete Forschung und Entwicklung von Cargo-Cap nur gemeinsam mit der Industrie möglich ist.

Dirk Schedler ist Product Manager Decentralized Drive Technology bei der SEW-Eurodrive GmbH & Co. KG, 76646 Bruchsal, Tel. (07251) 752463, dirk.schedler@sew-eurodrive.de

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