Fertigungsindustrie in der Zukunft Industrie 4.0 und Industrie 5.0: Wie die beiden Konzepte aufeinander aufbauen

Von Ines Stotz Mark Wheeler*

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Während sich das eine Konzept gerade mit Leben füllt, kommt bereits ein neuer Begriff daher. Neben Technologie stehen in der Industrie 5.0 aber besonders die Führungsqualitäten von Entscheidern im Fokus.

Das Konzept geht über Technologiefragen hinaus: Auch besondere Führungsqualitäten sind für eine erfolgreiche Transformation unerlässlich.
Das Konzept geht über Technologiefragen hinaus: Auch besondere Führungsqualitäten sind für eine erfolgreiche Transformation unerlässlich.
(Bild: © Olivier Le Moal – stock.adobe.com)

Homeoffice, Online-Einkäufe, Lebensmittellieferungen, virtuelle Veranstaltungen – während der Pandemie haben wir alle verstärkt Online-Dienste genutzt. Und dieser Weg in die digitale Welt hat eine Diskussion ausgelöst, wie die Fertigungsindustrie in Zukunft aussehen wird. Dabei fällt öfters der Begriff Industrie 5.0. Doch was ist das eigentlich genau, was sind die nächsten Schritte für Unternehmen, und sind sie überhaupt schon bereit dafür?

Hier gibt es viele verschiedene Ansichten unter Branchenexperten. Deshalb fällt es schwer, darauf eine allgemeingültige Antwort zu geben. Das Konzept geht über Technologiefragen hinaus: Auch besondere Führungsqualitäten sind für eine erfolgreiche Transformation unerlässlich.

Das Konzept von Industrie 5.0 entsteht gerade erst

Was umfasst Industrie 5.0? Hier gibt es verschiedene Konzepte: Die Europäische Kommission sieht Nachhaltigkeit und Resilienz als zentrale Ziele – und der Mensch sollte dabei immer im Mittelpunkt stehen. „Industrie 5.0 ist eine Industrie, die über reine Effizienz und Produktivität hinausgeht. Das Konzept betont den Beitrag, den Unternehmen für die Gesellschaft leisten“, heißt es. Professor Saeid Nahavandi, Director Intelligent Systems Research and Innovation an der Deakin Universität in Australien, glaubt ebenfalls, dass Industrie 5.0 die Mitarbeiter wieder ins Zentrum rückt.

Industrie 5.0 wird dabei oft als eine neue Ära gesehen– aber industrielle Revolutionen beginnen und enden nicht mit einem bestimmten Datum. Genauso wird auch der Übergang von Industrie 4.0 zu 5.0 fließend sein. Auch sind die Ziele und Werte noch nicht ausdefiniert und viele Unternehmen stehen gerade erst am Anfang, das Potential der Industrie 4.0 auszuschöpfen.

Viele Unternehmen sind noch nicht in der Industrie 4.0 angekommen

Die physische Welt digital widerspiegeln – das ist ein zentraler Bestandteil von Industrie 4.0. Viele Unternehmen sind davon noch weit entfernt. Im Jahr 2019 bemaß sich der globale Markt für digitale Zwillinge auf 3,8 Milliarden Dollar, bis 2023 wird er auf 15 Milliarden Dollar geschätzt. Laut einer Gartner-Studie [1] ist die Einführung von digitalen Zwillingen mit der des IoT (Internet of Things) gleichzusetzen. 26 Prozent der befragten Unternehmen verwenden bereits digitale Zwillinge und 59 Prozent wollen dies bis 2022 tun, ebenfalls laut Gartner.

Dies zeigt, dass digitale Zwillinge, obwohl viele Unternehmen das Konzept gerade erst ausprobieren, bereits recht umfassend für Gerätewartung oder bestimmte Produktionsprozesse verwendet werden.

Cyber-physische Systeme: die physische Welt digital abbilden

Sogenannte Cyber-physische Systeme ermöglichen intelligente Anwendungen und umfassende Transparenz und dadurch auch bessere, auf Daten basierte Entscheidungsfindungen in unternehmensrelevanten Bereichen. Es ist allerdings nicht so leicht, einen umfassenden digitalen Zwilling in einer komplexen Umgebung zu modellieren und zu kontrollieren. Wie kopiert man etwas, das sich ständig verändert und entwickelt? Standards und Interoperabilität können eine Lösung darstellen und Kosten und Aufwand reduzieren, indem sie feste Prozesse ermöglichen.

Ein vernetztes Cyber-physikalisches System zu realisieren ist eine Herausforderung. Es gibt aber Wege, die physische Welt digital abzubilden. Dazu braucht man erst einmal einen vollständigen Überblick über alle relevanten Anlagen – und das idealerweise in Echtzeit. Dadurch können Unternehmen Ausfällen und Fehlern vorbeugen.

Im nächsten Schritt sollte der Zustand der Anlagen geprüft werden. Nur über den aktuellen Zustand Bescheid zu wissen, reicht aber noch nicht aus. Vielmehr braucht es Echtzeitmessungen, etwa mit Temperatursensoren oder RFID (Radio-Frequency Identification). Wenn die Verantwortlichen beispielsweise schnell erfahren, dass Produkte nicht richtig gekühlt werden oder Geräte eine niedrige Akkuladung aufweisen, kann dies schnelle Entscheidungen erleichtern und Zeit sparen.

Industrie 5.0 braucht moderne Führungsqualitäten

Serielle Maßanfertigung (Mass Customization) hat viele Vorteile und reduziert Kosten und Ausschussware. Dafür benötigen Unternehmen jedoch detaillierte Informationen über die Nachfrage und Verfügbarkeiten von Waren. Welche konkreten Investitionen sind nötig, um eine serielle Maßanfertigung erfolgreich umzusetzen? Auch hier gibt es verschiedene Ansätze. Zudem sind schon Begriffe wie „Mass Customization“ oder auch „Digitalisierung“ vage. Früher umfassten digitale Prozesse im Betrieb nur, Geräte und Anlagen zu lokalisieren. Jetzt kann zusätzlich auch der Standort und Zustand erfasst werden.

Die schnelle Erfassung und Digitalisierung von Geräten und Anlagen klingt in der Theorie großartig. Einen Überblick über alle Schritte der Produktion zu haben, macht betriebliche Abläufe wesentlich smarter. Diese Umstellung erfordert allerdings Kosten und Ressourcen. Zunächst müssen auch die passenden Hebel gefunden werden, an denen diese Technologie gewinnbringend im Unternehmen eingesetzt werden kann.

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Die Technologie ist dabei aber gar nicht das Problem. Neue Technologien wie Wi-Fi 6 und 5G oder kostengünstige Aktivsensoren bringen entscheidende Vorteile für die industrielle Entwicklung. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, ein neues Konzept von Leadership und eine umfassende Zusammenarbeit umzusetzen. Die Bereiche IT und Betriebstechnologie (OT) haben etwa unterschiedliche Vorgaben, Ziele und Budgets. Dadurch ist es schwierig, gemeinsame Ziele zu definieren und an Lösungen zu arbeiten. Die größte Hürde besteht schließlich darin, innovative Lösungen einzuführen, die sich für alle relevanten Abteilungen eignen.

Bevor man deshalb von Industrie 5.0 spricht, sollten sich manche Unternehmen erst auf die gegenwärtigen Herausforderungen konzentrieren. Ein überstürzter Sprung ist also nicht erforderlich. Stattdessen sollte der Fokus auf der Entwicklung von besseren, reaktionsschnelleren Cyber-physischen Systemen liegen. Hier gilt wie überall: Man sollte erst in die nächste Phase übergehen, wenn die richtige Zeit für einen selbst gekommen ist.

[1] Quelle: Survey Analysis: IoT Digital Twin Adoption Proliferates Across Many Sourcing Options (neue Fassung Januar 2021)

* Mark Wheeler, Director of Supply Chain Solutions, Zebra Technologies

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