Automatisches Kleinteilelager Just-in-sequence lässt die Kosten purzeln
Hansmann Logistik ist Spezialist für sämtliche Waren- und Informationsflüsse entlang der Supply Chain in der Automobilindustrie. Mit Klinkhammer realisierte das Unternehmen in nur 15 Monaten ein vollständig automatisiertes Just-in-Sequence-Lager in Wolfsburg. Die Vorteile: höhere Zuverlässigkeit, schnellere Prozesse und gesunkene Kosten.
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Es begann alles weit vor der Auftragsvergabe. Damals gab es im kleinen Kreis von Planern und Logistikern von Hansmann und Vertretern des Kunden, des größten Automobilproduzenten in Europa, erste Überlegungen, eine neue Lagerstrategie für das Hansmann-Logistikzentrum in Wolfsburg umzusetzen. Man sondierte den Markt, verglich ähnliche Projekte und lud unter anderen die Klinkhammer Group zum Gespräch ein. Danach wurden konkrete Konzepte entwickelt und eng mit dem Kunden abgestimmt. Hier überzeugte am Ende die Klinkhammer Group. Die Anforderungen waren klar: „Höchstmögliche Sicherheit, verbunden mit maximaler Flexibilität. Das ist eine der Kernforderungen unseres Kunden“, unterstreicht Christian Seidl, Geschäftsführer der Hansmann Logistik GmbH und Leiter Business Unit Automotive/Western Europe bei Imperial Logistics International, zu der Hansmann gehört. Warum aber war überhaupt ein neues Lager notwendig? Es existierte doch schon eines am Standort. Seidl: „Der Altstandort war technisch nicht mehr up to date und wir konnten dort die gestiegenen Anforderungen hinsichtlich der Leistung nicht mehr abbilden.“
Die Kabelbäume für die Motoren und Innenräume, die in den nächsten fünf Tagen in der Produktion verbaut werden, lässt der Autohersteller über seine Lieferanten in speziellen Großladungsträgern zu Hansmann liefern. Dort werden die Kabelbäume in Behälter umgelagert und ins automatische Kleinteilelager (AKL) eingelagert, wo sie jederzeit verfügbar vorgehalten werden müssen. Je nach Status werden die mit den Kabelbäumen bestückten Behälter in verschiedenen Zonen gelagert. „Sobald wir die Information bekommen, dass die Karosserie gefertigt wird, lagern wir die Kabelsätze in den hochverfügbaren Bereich um. Beim nächsten Abruf haben wir maximal 90 Minuten Zeit – vom Abruf durch unseren Kunden bis zur Anlieferung ans Werk – um die Kabelbäume just in sequence zu liefern“, erläutert Christian Seidl.
Nach Abruf geschehen alle weiteren Prozessschritte automatisch
Wer nur 90 Minuten Zeit hat, muss sich auf seine Logistik verlassen. Dabei spielen das Konzept und die Strategie dahinter eine entscheidende Rolle. „In den 90 Minuten sind auch die Fahrzeiten der Lkw enthalten. Man muss also noch einmal 20 bis 25 Minuten abziehen. Es verbleiben damit etwa 65 bis 70 Minuten, um die Kabelbäume auszulagern und in der richtigen Sequenz direkt in die Lkw zu transportieren“, erklärt Frank Klinkhammer, Geschäftsführer der Klinkhammer Group. Das vollständig automatisierte System von Klinkhammer lagert die Behälter mit den Kabelbäumen aus, bringt sie in die richtige Sequenzreihenfolge und baut die Behälterstapel auf. Danach werden die Behälterstapel über eine automatisierte Fördertechnik auf den Lkw verladen, in dem ebenfalls eine automatisierte Fördertechnik eingebaut ist. Der Lkw fährt ins Werk, dockt rückwärts an eine automatisierte Technik an und entlädt die Behälterstapel. Der Reihenfolge nach werden die Behälter automatisch vom Fahrzeug transportiert, entstapelt und der Produktionslinie im Automobilwerk zugeführt. „Das alles ist perfekt aufeinander abgestimmt. Ein Schritt geht nahtlos in den nächsten über, alle Prozesse sind dokumentiert und können jederzeit verfolgt werden. Dafür sorgen drei Softwaresysteme: Unser Kunde stellt die Abrufdaten zur Verfügung, Klinkhammer sorgt mit dem Materialflussrechner für optimale Materialflüsse. Und unser Lagerverwaltungssystem ist für einen reibungslosen Austausch zwischengeschaltet“, erklärt Christian Seidl.
Um jede Stunde 210 Autos unterschiedlichen Typs mit 420 Kabelbäumen rund um die Uhr zu versorgen, ist eine hochredundante, in weiten Teilen automatische und sehr gut durchdachte Lösung Bedingung. Die Planer von Klinkhammer verzichteten dabei bewusst auf Roboter und setzen auf Sequenzer (je 1 pro Montagelinie) und Behälterstapler. Zugunsten der Ausfallsicherheit verzichteten die Planer auch bei der Technik auf Komplexität. Zu einem Großteil wurden Standardbauteile verwendet, die schnell und problemlos ersetzt werden können. In der 100 m × 100 m großen Halle sind zwei AKL-Blöcke mit 54.400 Behälterstellplätzen und elf Regalbediengeräten, Förderstrecken sowie Ein- und Auslagerplätzen untergebracht.
Während im AKL-Block 1 mit 40.800 Behälterstellplätzen die Kabelsätze gesammelt und bis zum Vormontageabruf gepuffert werden, sind im AKL-Block 2 mit 13.600 Behälterstellplätzen die hochverfügbaren Teile in Türmen je Fahrzeug gelagert. Hier sind die jeweiligen Kabelbäume für den Innenraum und den Motorraum je Typ und Sequenz verheiratet, aber in eigenen Behältern untergebracht. Ein kontinuierlicher Abgleich der Daten aus der Produktion mit den eingelagerten und verfügbaren Teilen sorgt für eine reibungslose Versorgung der insgesamt vier Montagelinien. Ein weiterer Clou ist die Be- und Entladung der Lkw mit den Kabelbäumen, die automatisch, just in sequence und schon in der Reihenfolge der geplanten Produktion erfolgt.
Notfallkonzepte an kritischen Stellen
Christian Seidl: „Alle 30 Minuten fährt ein Lkw zum Werk unseres Kunden, alle 15 Sekunden geht bei uns ein Abruf von unserem Kunden ein. Diese Abrufe sammeln wir bis zu einem bestimmten Volumen, dann tickt die Uhr. Wir rechnen immer mit maximal 30 bis 35 Minuten, innerhalb derer wir die Ware bereitstellen.“ Es bleibt also nur eine knappe Frist, nach deren Ablauf bei einer möglichen Störung oder einem Ausfall die Bänder beim Automobilhersteller still stehen würden. „Diesen Fall gilt es mit allen Mitteln zu verhindern.“ Dazu wurden die unterschiedlichsten Szenarien durchdacht und umgesetzt. So gibt es Vorwarnstufen, wenn zum Beispiel die Onlineverbindung ausfällt und die Abrufdaten nicht automatisiert übermittelt werden können. Dann sind wieder Fax oder Telefon gefragt und die Daten werden manuell erfasst. An allen kritischen Stellen wurden Notfallkonzepte entwickelt und Maßnahmen realisiert – etwa Regalbediengeräte, die sich gegenseitig automatisch ersetzen können. Gleiches gilt für die Sequenzer: Auch hier steht ein Ersatz jederzeit zur Verfügung.
Auswirkungen auf das Layout
Natürlich wirkt sich dies auf das Anlagenlayout aus, welches von vornherein unter dem Aspekt der absoluten Verfügbarkeit geplant wurde. So gibt es zum Beispiel einen Lagerbereich, in dem mindestens die Menge eines Tagesbedarfs gelagert wird. Analog zu den Abrufen des Automobilherstellers werden die Kabelbäume kontinuierlich umgelagert, damit die hochverfügbaren Teile jederzeit schnell verladen werden können. „Wir könnten sogar manuell eingreifen und die Ladungsträger mit den Kabelbäumen in die Lkw bringen. Das allerdings geht nur für kurze Zeit und ist zum Glück noch nicht vorgekommen“, sagt Christian Seidl.
Die Planer von Hansmann und Klinkhammer entschieden sich bewusst gegen Roboter und für Sequenzer und Stapelmaschinen. „Durch den Einsatz von Sequenzer und Behälterstapler werden die Regalbediengeräte unabhängig vom Sequenzverlauf beauftragt“, erläutert Frank Klinkhammer. „Weil wir nicht schon in den AKL die Sequenz herstellen, können wir die Kabelbäume beliebig in der Reihenfolge auslagern und damit die Effizienz der Regalbediengeräte deutlich erhöhen.“ Christian Seidl ergänzt: „Das hat sich aus heutiger Sicht absolut bewährt, weil wir keine Auslastungsspitzen und Engpässe wie in der Vergangenheit mehr haben.“
Ökologie und Sicherheit werden in Wolfsburg neu gedacht
Mit dem neuen Lager wurde auch ein neuer Weg in der Materialversorgung eingeschlagen. Früher wurden starre Spezialpaletten für die Kabelbäume verwendet. Heute sind es faltbare Großladungsträger. Damit hat sich das Verhältnis beim Leergut-Rücktransport durch Lkw auf 1:5 verbessert. Das heißt, dass heute auf fünf anliefernde Lkw nur noch ein Lkw mit Leergut für den Rücktransport kommt. Früher war das Verhältnis 1:1. Durch diese Optimierung des Logistikprozesses hat sich die Umweltbelastung deutlich verringert. Auch in puncto Sicherheit geht das Lager voran. So wurde beim Brandschutz auf eine Sauerstoffreduzierung gesetzt. Inertisierungssysteme verhindern wirksam das Entstehen von Bränden und sind eine sinnvolle Alternative zu den üblichen kosten- und wartungsintensiven Brandschutzmaßnahmen mit Sprinkleranlagen und Löschwasserrückhaltesystemen. „Kabelsätze sind ja individuell auf jedes Fahrzeug abgestimmt. Wenn also Kabelsätze durch Brand vernichtet werden, dauert es sehr lange, bis Ersatz geliefert werden kann. Die Konsequenzen sind nicht nur für den Automobilbauer und damit unseren Kunden erheblich. Also haben wir uns entschieden, hier neue Wege zu gehen“, sagt Frank Klinkhammer, Geschäftsführer der Klinkhammer Group.
Teamarbeit von Anfang an sicherte den Erfolg
Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Realisierung des neuen Lagers war die konstruktive und immer kreative Partnerschaft aller Beteiligten. „Die Zusammenarbeit war sehr gut. Gemeinsam haben wir immer Wege und Möglichkeiten gefunden, auch Hürden, die in solchen Projekten immer auftauchen, zu überwinden“, erinnert sich Seidl. Gerade vor dem Hintergrund des doch engen Zeitfensters und der Vorgabe, die neue Logistikanlage in den Werksferien 2014 in Betrieb zu nehmen, ist eine vertrauensvolle und zuverlässige Zusammenarbeit entscheidend. „Das neue Lager wurde innerhalb von 15 Monaten realisiert. Andere Projekte in dieser Größenordnung liegen bei 20 Monaten. Das haben wir durch gute Teamarbeit und ein von Anfang an überzeugendes Konzept erreicht.“ ■
* Hagen Schumann ist Leiter Vertrieb und Consulting bei der Klinkhammer Förderanlagen GmbH in 90427 Nürnberg, Tel. (09 11) 93 06 40, sha@klinkhammer.com
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