Bahnstreik „Unverhältnismäßig und einseitig“?
Seit Mittwoch, 5. November 2014, um 15 Uhr bestreiken die Mitglieder der GDL den Güterverkehr. Einige deutsche Logistik- und Speditionsverbände beziehen jetzt deutlich Stellung gegen den Arbeitskampf.
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Mit dem Streik will die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) gegen den von der Deutschen Bahn vorgelegten Tarifvertrag für Verfahrensfragen vorgehen, der laut Pressemitteilung der GDL „ein Frontalangriff gegen die grundgesetzlich geschützte Koalitionsfreiheit“ ist. Weitere Forderungen der Gewerkschaft sind eigenständige Tarifverhandlungen für ihre Mitglieder und mehr Lohn bei besseren Arbeitszeitbedingungen. Während die Gewerkschaften und die Politik über die Recht- und Verhältnismäßigkeit des Streiks streiten, steht die Logistikbranche durch den Streik vor ganz realen Problemen und Herausforderungen.
Etwa die Hälfte aller Verkehre fällt aus
Laut Markus Hunkel, Produktionsvorstand bei DB Schenker Rail, rechnet die Bahn damit, dass Sie etwa die Hälfte aller Verkehre durchführen kann. Weiter geht die Bahn als Streikgegner der GDL davon aus, dass der aktuelle Streik mit einer voraussichtlichen Gesamtdauer von 109 Stunden erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft haben wird und die Verlässlichkeit der Schiene gefährdet. Nach Informationen des Unternehmens trifft der Streik den Schienengüterverkehr in der sogenannten Herbstspitze, den Zeitraum mit den meisten Transporten im Jahr. Durch den Einsatz eines Krisenteams in der europäischen Leitstelle von DB Schenker Rail in Frankfurt am Main sollen die Auswirkungen für die Kunden im In- und Ausland so gering wie möglich zu halten.
Nachhaltiger Schaden für die Schiene
Der DSLV (Deutscher Speditions- und Logistikverband e. V.) zeigt sich hier deutlich pessimistischer und geht davon aus, dass der Streik den Verkehrsträger Schiene insgesamt nachhaltig schädigt. In einer Pressemitteilung bezeichnet der Verband die Arbeitskampfmaßnahmen der GDL als „[...] massiver Eingriff in die Rechtsgüter unbeteiligter Dritter mit negativen Auswirkungen nicht nur auf nationale, sondern auch auf internationale Lieferketten und Produktionsprozesse [...]“. Der DSLV macht allerdings deutlich, dass die Speditions- und Logistikbranche mit Hochdruck an Ersatzlösungen für die Betroffenen Verkehre arbeitet. Dies bedeutet dem Verband zufolge aber einen enormen organisatorischen Aufwand und zusätzliche Kosten. Verzögerungen in der Supply Chain können außerdem nicht in jedem Fall ausgeschlossen werden. „Die Auswirkungen des Streiks zeigen, wie unverhältnismäßig und einseitig der Arbeitskampf der GDL ist und wie dringend eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit benötigt wird,“ so DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster.
Weitreichende Folgen
Eine ähnliche Position vertritt der Verein Hamburger Spediteure e.V. (VHSp), der zu bedenken gibt, dass der Streik im Güterverkehr Folgen nach sich zieht, die über das Verhältnis zum Tarifgegner Deutsche Bahn weit hinausgehen. „Es ist vielmehr ein Eingriff in die Rechtsgüter unbeteiligter Dritter mit negativen Auswirkungen auf nationale und internationale Lieferketten und Produktionsprozesse“, so der Verband. „Wir suchen in Hamburg nach Möglichkeiten, den Straßenverkehr zu entlasten, ein derartig langer Streik zwingt die Spedition zu einer Rückverlagerung auf die Straße“, kritisiert Axel Plaß, Vorsitzer des Fachausschusses Bahn beim VHSp.
Professioneller Umgang mit dem Streik
Etwas gemäßigter zeigt sich Martin Bulheller, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V gegenüber MM Logistik. Zwar geht er davon aus, dass einige Mitglieder der Landesverbände des BGL, die im Kombinierten Verkehr Straße/Schiene tätig sind, zu den Leidtragenden des Streiks gehören, gibt aber zu bedenken, dass diese Unternehmen Profis in ihrem Gebiet sind und wissen, wie man mit einer derartigen Situation umgeht. Allerdings verfügten sie nicht über eine unbegrenzt hohe Zahl von Lkw, so dass vermutlich manche Sendung erst mit Verspätung transportiert werden könne. Gerade stark vom Güterverkehr abhängige Branchen wie der Automobilbau, dessen Teileversorgung laut DB Schenker zu 60 bis 70 % über die Schiene läuft, haben sich Berichten zufolge schon vor Wochen auf einen möglichen Streik vorbereitet und Lkw-Kapazitäten reserviert.
Eine Gefahr sieht Bulheller für seine Branche aber doch: Da die Kapazitäten an deutschen Lkw für die Übernahme zeitkritischer Transporte, die jetzt von der Bahn übernommen werden müssen, begrenzt sind, könnten osteuropäische Speditionen die Situation nutzen, um durch die Übernahme nicht zeitkritischer Verkehre, die nicht von ansässigen Speditionen bedient werden können, noch stärker auf den deutschen Markt zu drängen. Auch Bulheller befürchtet, dass der Verkehrsträger Bahn durch den Streik dauerhaft beschädigt werden könnte, wenn er sich dauerhaft als unzuverlässig erweist.
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