Logistik-Management Verbesserungspotenzial in Technik und Management

Autor / Redakteur: Armin F. Schwolgin / Dipl.-Betriebswirt (FH) Bernd Maienschein

1,3 Mrd. Chinesen, 10% Wirtschaftswachstum pro Jahr und die geografischen Ausmaße der Volksrepublik haben den Transport- und Logistiksektor des Landes zu einer Boom-Branche gemacht. Doch es fehlt an geschulten Logistik-Facharbeitern sowie am gleichermaßen theoretisch und praktisch ausgebildeten Führungsnachwuchs. Dies gilt sowohl für das Logistik-Management wie für die Logistik-Technik.

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Vor dem Hintergrund der hohen Absolventenzahlen chinesischer Hochschulen ist der Mangel an Nachwuchsführungskräften im Logistikbereich auf den ersten Blick wenig verständlich. Das Problem liegt jedoch weniger in einer unzureichenden Zahl von Jungakademikern, sondern vor allem in der Übertheoretisierung chinesischer Studiengänge. Das Interesse an dem Modell einer dualen Hochschule nach dem Vorbild der Berufsakademien in Baden-Württemberg ist deshalb groß.

In den letzten zehn Jahren hat China seine Akademikerrate vervielfacht. Allein im Jahr 2005 erwarben rund 3,5 Mio. junge Chinesinnen und Chinesen ihren Bachelor-Abschluss; im Jahr 2006 waren es bereits 4 Mio. Die Zahl der Studienbewerber wird auch in den nächsten Jahren weiter stark ansteigen. Bei den Master-Absolventen und den Doktoranden ergibt sich ein ähnliches Bild: Hier soll die Zahl von gegenwärtig 400 000 pro Jahr bis zum Ende der Dekade auf über eine Million erhöht werden.

Regionale Unterschiede in Chinas Hochschullandschaft

Bei der Betrachtung dieses Zuwachses darf aber nicht übersehen werden, dass ein großer Teil der Jungakademiker nach dem Examen arbeitslos ist. Allein im Jahr 2006 belief sich diese Zahl auf 1,24 Mio. Nach einer Untersuchung der Hanns-Seidel-Stiftung in Peking fanden nach dem Bachelor-Examen in den letzten Jahren sogar zirka 47% der Absolventen keine adäquate Beschäftigung. Zudem war von den Berufsanfängern nach ein bis zwei Jahren ein Großteil wieder arbeitsuchend, da er den Anforderungen der Praxis nicht gerecht werden konnte.

Diese landesweiten Zahlen sind in der Tat besorgniserregend. Allerdings gibt es regional und von Hochschule zu Hochschule erhebliche Unterschiede. Ein positives Beispiel ist die am Stadtrand von Peking gelegene Beijing Wuzi University. Nach Angaben der Hochschule, deren Schwerpunkte in den Bereichen Logistik-Technik und Logistik-Management liegen, beträgt die Arbeitslosenquote unter den Bachelor-Absolventen durchschnittlich 10%.

Die Übernahmequoten der Absolventen baden-württembergischer Berufsakademien liegen noch deutlich über diesen 90%. In den letzten Jahren wurden fast alle Absolventen des Studiengangs Spedition, Transport und Logistik der Berufsakademie Lörrach von den Partnerunternehmen übernommen; die übrigen hatten spätestens am Tage der Diplomfeier einen neuen Arbeitsvertrag in der Tasche. Dies unterstreicht die Tatsache, dass die Berufsakademien das Bologna-Kriterium der Berufsbefähigung in besonderer Weise erfüllen.

Schwierigkeiten chinesischer Hochschulabsolventen

Ob angesichts der landesweiten Akademikerarbeitslosigkeit die chinesische Wirtschaft wirklich auf eine verlässliche Zahl von geeigneten Fach- und Führungskräften zurückgreifen kann, wie gelegentlich zu lesen ist, erscheint uns mehr als fraglich. Manager von in China tätigen Unternehmen aus den Bereichen Technik und Logistik beklagen vielmehr einen Mangel an chinesischem Fachpersonal und Nachwuchsführungskräften. Das auf Auswendiglernen und Wiedergeben angelegte System von Bildung und Erziehung „produziert massenweise Anpasser, aber keine Köpfe“, wie kürzlich jemand formulierte.

Eine weitere wesentliche Ursache für diese unbefriedigende Entwicklung ist die extreme Theorielastigkeit des Studiums. Viele Absolventen haben daher das Gefühl, nicht wirklich etwas Anwendbares zu lernen. Ein duales Studium, wie es die Berufsakademien in Baden-Württemberg auf breiter Front anbieten, gibt es in China im Prinzip nicht. Eine Ausnahme stellt bisher das von der Universität Shiyan und dem Hubei Automotive Industries Institute in Kooperation mit dem Studiengang Maschinenbau der Berufsakademie Stuttgart angebotene Modell. Auch ein bis zwei Pflicht-Praktika, in Analogie zu den Vorgaben deutscher Fachhochschulen, sind in China unüblich.

Trotz der aus individueller wie aus gesamtwirtschaftlicher Sicht unbefriedigenden Situation scheuen es die Absolventen aber auch, in die noch unterentwickelten Provinzen der westlichen Landesteile zu gehen, weil dort der Lebensstandard und die Gehälter noch niedriger sind als in den Metropolen. Ein weiterer Aspekt ist die private Lebensuntüchtigkeit vieler Jungakademiker, die ihre Ursache in der Einzelkindpolitik hat. Von Geburt an wird der Nachwuchs von den Eltern extrem umsorgt. Der soziale Druck aus der Familie und strenge Auswahlkriterien von der Mittelschule bis zum Hochschulabschluss führen zu psychischen Störungen und zu vergleichsweise hohen Selbstmordraten.

Weniger als 10% der Absolventen für das Management qualifiziert

Aufgrund der Gesamtsituation kommt zum Beispiel McKinsey zu dem Schluss, dass nicht einmal 10% der Absolventen ausreichend qualifiziert sind, um in einem ausländischen Unternehmen als Ingenieur, Finanzexperte oder Kundenberater zu arbeiten. Neben den fachlichen Defiziten spielen dabei auch die unzureichenden Sprachkenntnisse eine entscheidende Rolle. Die Regierung der Volksrepublik China hat die Schwierigkeiten im Hochschulwesen erkannt und versucht, diese mit geeigneten Maßnahmen zu lösen. Die wesentlichen Schritte sind:

  • eine Stärkung der gehobenen beruflichen Ausbildung (Fachschulen, Wirtschaftsassistenten),
  • eine engere Verzahnung zwischen allgemeiner und beruflicher Ausbildung,
  • die Implementierung von Gründerprogrammen für Hochschulabsolventen mit subventionierten Krediten und Zuschüssen für den laufenden Betrieb,
  • die Durchführung von riesigen Jobbörsen,
  • die psychologische Betreuung von Studierenden zur Reduzierung von Suiziden,
  • ein Interesse an dualer Ausbildung und am Modell des dualen Studiums.

Der chinesische Logistikmarkt ist stark transportgeprägt

Die Logistik (Wu Liu) ist zumindest sprachlich in China ein relativ neuer Bereich. Insgesamt soll es heute 800 000 registrierte Logistikdienstleister geben, über die Zahl der „grauen“ Transporteure gibt es keine zuverlässigen Informationen. Etwa 95% der registrierten Logistikdienstleister sind reine Frachtführer. Umschlags- und Lageraktivitäten spielen noch eine vergleichsweise geringe Rolle.

Die Kontraktlogistik gewinnt erst langsam an Bedeutung. Die polypolistische Marktstruktur, das Fehlen von wirklich flächendeckenden nationalen Netzwerken und Systemen der Sendungsverfolgung sowie ein genereller Mangel an speditionellem und logistischem Know-how führen dazu, dass die Logistikkosten in China mit bis zu 20% des Bruttoinlandsproduktes extrem hoch ausfallen.

Der chinesische Logistikmarkt ist im Kern von fünf Gruppen geprägt: den großen staatlichen Logistikdienstleistern, den Spin-Offs großer staatlicher Industrieunternehmen und einer Vielzahl privater chinesischer Unternehmer. Seit der in Stufen vollzogenen Liberalisierung des Logistikmarktes spielen die Joint-Ventures und die ganz in ausländischem Besitz stehenden Unternehmen eine zunehmende Rolle. Angesichts der wachsenden Marktanteile ausländischer Logistikdienstleister wurde jüngst jedoch die Forderung laut, den Zugang der ausländischen Wettbewerber zu beschränken.

Insgesamt entwickelt sich der chinesische Logistikmarkt jedoch sehr dynamisch. In den letzten Jahren betrug das Wachstum zwischen 20 und 25%, wobei in Südchina mit der Region Shanghai über 30% erreicht wurden.Um dieses Wachstum bewältigen zu können, bedarf es neben einer ausreichenden Zahl von Facharbeitern vor allem auch einer entsprechenden Zahl von Führungskräften in den Bereichen Logistik-Technik und Logistik-Management.

Automatisierung und Logistik steigen in der Studentengunst

An den chinesischen Hochschulen wird jedes Jahr eine große Zahl von Ingenieuren der verschiedensten Disziplinen ausgebildet. Logistik- und Automatisierungstechnik spielen dabei eine zunehmende Rolle. Insgesamt sind von den gegenwärtig etwa 23 Mio. Studierenden etwa 8 Mio. in einem ingenieurwissenschaftlichen Fach eingeschrieben. Der Anteil von 35% ist auch im Vergleich zu Indien, wo nur rund 8% der Studierenden in den Ingenieur-Fakultäten immatrikuliert sind, sehr hoch. Die große Beliebtheit der Ingenieurwissenschaften liegt nicht zuletzt darin, dass ein solches Studium als „unpolitisch“ gilt.

Die Unternehmen klagen dennoch über den Mangel an qualifiziertem Nachwuchs, da die Hochschulabsolventen oft keine oder nur wenig Erfahrung mit einfachen Werkzeugen haben. Da die Vermittlung von rein theoretischem Wissen − zum Teil auch auf beachtlichem Niveau − im Vordergrund steht, wird ein Defizit auf dem Gebiet des angewandten Ingenieurwissens beklagt.

Im Bereich der sozialen Kompetenz fehlt es nicht zuletzt auf Grund der Auswahlmechanismen an der Fähigkeit zur Teamarbeit. Die Flexibilität der Hochschulabsolventen wird von den Unternehmen als zu gering eingestuft. Es kommt hinzu, dass trotz entsprechender Zertifikate die Kenntnisse der englischen Sprache für eine funktionierende Kommunikation oft nicht ausreichend sind.

Im Bereich des Logistik-Managements ist die Situation ähnlich schwierig. Neben dem Mangel an aktuellem logistischen Know-how kommen hier in stärkerem Maße noch rein quantitative Probleme hinzu. Unternehmen wie BITCC/Schenker oder Kerry klagen über die mangelnde Zahl von entsprechend qualifizierten Nachwuchsführungskräften. Zum einen ist dies darauf zurückzuführen, dass die Vertiefungsrichtung Logistik an vielen Universitäten völlig neu ist, zum anderen sind die Studieninhalte auch in den Fächern Spedition, Transport und Logistik viel zu theoretisch. Bei den Studierenden erfreuen sich die logistischen Vertiefungsfächer in jüngster Zeit jedoch steigender Beliebtheit.

Chinas Modernisierung hängt stark von der Logistik ab

Da die chinesische Regierung erkannt hat, dass der Aufbau eines effizienten Speditions-, Transport- und Logistiksektors für die weitere Modernisierung des Landes unabdingbar ist, fördert sie die Bemühungen, in den Bereichen der beruflichen Bildung wie auf der Hochschulebene auf breiter Front geeignete logistische Bildungsangebote zu etablieren. Das offizielle Interesse an Kooperationen im Hochschulbereich und auf dem Gebiet der Weiterbildung von Fachschullehrern ist entsprechend groß.

Seit über drei Jahren bietet der Studiengang Spedition, Transport und Logistik an der Berufsakademie Lörrach einen China-Schwerpunkt an, in dem über sechs Semester hinweg neben der chinesischen Sprache und Schrift auch landeskundliche, historische und rechtliche Themen aus China behandelt werden. Die Bereiche Wirtschaft und Logistik werden zunehmend ausgebaut.

Da dieser Studienschwerpunkt bei den Studierenden und den Partnerunternehmen auf wachsendes Interesse stieß, wurde die Kooperation mit einer chinesischen Hochschule angestrebt. Genau 14 Monate nach dem ersten Kontakt zwischen dem Studiengang Spedition, Transport und Logistik der Berufsakademie Lörrach und der Logistics School der Beijing Wuzi University konnten Vertreter der beiden Hochschulen Anfang Februar 2007 in Lörrach einen Kooperationsvertrag unterschreiben. Gegenstand des Vertrages zwischen der BWU und der BA Lörrach sind der Austausch von Studierenden, der Austausch von Professoren und Lehrbeauftragten sowie die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der angewandten Forschung. Die Beijing Wuzi University (BWU) wurde im Herbst 1980 gegründet.

Die heutige Universität ist aus dem National Materials Bureau hervorgegangen und unterliegt heute der Aufsicht der Bildungskommission der autonomen Stadt Peking. Zu Beginn bestand die BWU nur aus der Fakultät für Materialwirtschaft. Als erste Universität in China hat die BWU eine Fakultät für Logistik geschaffen. Damit wurde sie – wie sie selbst sagt – zur Wiege der Logistikstudien in China. In der heutigen Fakultät für Logistik werden drei Spezialisierungsrichtungen angeboten: Logistikmanagement, Logistiktechnik und Automatisierungstechnik.

Im Sommer werden die ersten Studierenden der Berufsakademie Lörrach zunächst für eine Praxisphase nach China fliegen. Ab Mitte September werden sie dann ihr fünftes Theoriesemester an der Beijing Wuzi University absolvieren. Die ersten fünf chinesischen Studierenden werden im Frühjahr 2008 in Lörrach erwartet. Mit diesem formalen Austauschprogramm leistet der Studiengang Spedition, Transport und Logistik der Berufsakademie zusammen mit den Unternehmen und der chinesischen Partnerhochschule einen ersten winzigen Beitrag, um Nachwuchsführungskräfte auf das Speditions- und Logistikgeschäft in China vorzubereiten.MM

Prof. Dr. Armin F. Schwolgin ist Studiengangsleiter Spedition, Transport und Logistik an der Berufsakademie Lörrach, 79 539 Lörrach

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