Agnostischer Maschinenbau Vernetzung fördert produktflexible Fertigung ohne Takt und Band
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Wer bei der Produktion besonders schnell sein wollte, griff bisher zu starren Fertigungsstrukturen. Fraunhofer-Forscher sagen nun, dass das der Vergangenheit angehört. Hier die Erklärung ...

Die Effizienz von Serienprozessen und fest verketteten Produktionslinien ist unbestritten. Denn wenn ein Prozessschritt zuverlässig in den nächsten greife, könnten Aufträge in kurzer Zeit abgearbeitet werden. Aber starre Produktionsstrukturen haben auch Nachteile, sagen Forscher am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK). Der größte davon ist, dass es recht aufwendig bis unmöglich ist, damit kundenindividuelle Spezialaufträge in Angriff zu nehmen. Doch solche seien in vielen Unternehmen längst Alltag, was selbst im klassischen Seriengeschäft gelte. Manche Anbieter operieren etwa mit 50.000 Systemprodukten bei jährlichen Wiederholraten von 1,4.
Jetzt kommt der produktagnostische Maschinen- und Anlagenbau
Soviel Agilitätsbedarf macht hochintegrierte Anlagen unwirtschaftlich. Unternehmen, die einen großen Teil ihrer Produkte nur einmal herstellen, nehmen viele Prozessschritte in Handarbeit vor. Umfassende Automatisierung lohnt für sie nicht, sie favorisieren stattdessen kleinere, sehr flexible Fertigungssysteme. Maschinenbauer und Systemlieferanten reagieren deshalb inzwischen auf diesen Bedarf und gestalten Maschinen produktagnostisch. Das heißt, mit derselben Anlage können verschiedenste Varianten eines Produkts produziert werden oder auch unterschiedliche Produkte – die Anlage ist anders gesagt in Sachen Produkte ungebunden, also agnostisch konzipiert. „Unsere Sicht darauf, was der Produktionsprozess umfasst und wie er zu gestalten ist, wird sich erheblich verändern“, ist sich Prof. Dr. h. c. Dr.-Ing. Eckart Uhlmann, Produktionsexperte und Institutsleiter des Fraunhofer-IPK, deshalb angesichts neuester Erkenntnisse sicher.
Werkstücke suchen sich ihren Weg durch die Produktion
Dieser neuartige Ansatz unterstützt teilautonome Prozessketten bis hin zur selbst organisierenden Produktion, betonen die Forscher. Die Verkettung der einzelnen Produktionsschritte erfolgt dabei informationstechnisch. Das sei aber eine große Aufgabe, weil dazu Anlagen in Dialog gebracht werden müssten, die von verschiedenen Herstellern stammten oder heterogene Standards verwendeten. Das Problem lässt sich aber zum Beispiel mit IT-Adaptern umsetzen, die die Maschinensteuerung für die Vernetzung öffnen, wie Uhlmann anmerkt. Das Ergebnis ist idealerweise eine selbst organisierende Produktion, wie sie das Fraunhofer-IPK bereits vorantreibt. Darin kommunizieren und kooperieren sämtliche Fertigungsinstanzen (Menschen, Werkstücke, Maschinen und Werkzeuge) direkt miteinander. So kann zum Beispiel ein Werkstück eigenständig seinen Weg durch die Fertigung organisieren, indem es passende Bearbeitungsressourcen anfragt. Bearbeitungsstationen bieten dann entweder freie Kapazitäten an oder lehnen die Anfrage ab, wenn ihre Datenlage auf einen Wartungsbedarf hindeutet.
Hoch variable Produktionsumfelder trotzen Krisen
Der Automatisierungsgrad könne je nach Unternehmen dabei sehr unterschiedlich ausfallen. Manche Unternehmen profitierten am meisten von einer digital unterstützten Prozesssteuerung. Diese könne im einfachsten Fall lediglich von einer Station zur nächsten das Wissen darüber weitergeben, um welchen Auftrag es sich handle, welche Bauteile dazu gehörten und wie sie im nächsten Schritt zu bearbeiten seien. Autonomere Ablaufsteuerungen sprechen die Anlagen dazu direkt an, um Prozesse zu orchestrieren. Mit modellbasierten, modularen Konzepten können Prozessschritte dabei in immer neue Abläufe kombiniert werden, wie es weiter heißt. So werde die Produktion variabel genug, um eine kundenindividuelle Fertigung zu ermöglichen oder die schnellen Reaktionen auf Ausnahmesituationen zu gewährleisten. Das erhöht nicht zuletzt die Resilienz bei auftretenden Krisensituationen.
Intraprozesslogistik avanciert zu einem Teil des Produktionsprozesses
Auch für die Intraprozesslogistik braucht es dazu umfassend automatisierte Schritte. Denn wer Takt und Band verlasse, brauche Alternativen, damit das Produkt im Herstellungsprozess sicher von A nach B kommt und an jeder Bearbeitungsstation das erforderliche Material bereitsteht. Solche Alternativen sind zum Beispiel fahrerlose Transportsysteme (FTS) (englisch: Automated Guided Vehicles, AGV). Denn sie lassen sich sogar in die Ablaufsteuerung integrieren, wobei die Logistik ein integraler Teil des Produktionsprozesses wird.
Und wenn Produktionsanlagen und andere Shopfloor-Einrichtungen flexibel in immer neue Prozesse zusammengesteckt werden, sollten sich auch die Methoden und Technologien für Pilotierung und Absicherung ändern, glauben die Forscher. Digitale Zwillinge und virtuelle Inbetriebnahme spielten dabei eine entscheidende Rolle. Denn mit ihnen kann geprüft werden, ob bei einer Neuanordnung jede Maschine auch an den vorgesehenen Platz passt und ob die geplante Anordnung sinnvoll ist. Wird ein Prozess neu konfiguriert, kann so sichergestellt werden, dass er auch reibungslos durchlaufen wird, heißt es. So würden Ausfallzeiten bei Inbetriebnahme und Rekonfiguration minimiert.
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