Gepäck-Management High-Tech für den Baggage-Boom

Autor / Redakteur: Reinhard Irrgang / Volker Unruh

Das Flugpassagieraufkommen steigt rasant. Und damit analog die Anzahl der abzufertigenden Gepäckstücke. Hohe Anforderungen werden an die Gepäckfördersysteme gestellt, was Technik, Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und Durchsatzzahlen betrifft. Unser Bericht schildert aktuelle Systeme, Techniken, Projekte und Trends.

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Wie ein Blick auf die führenden Anbieter von Baggage-Handling-Systemen (BHS) und Komponenten zeigt, ist die kontinuierlich mit Innovationen aufwartende Branche gut gerüstet – und auch gut beschäftigt. So realisiert Siemens derzeit für das neue Terminal 3 des internationalen Flughafens Dubai die mit 90 km Gesamtlänge und einer Kapazität von rund 15 000 Gepäckstücken pro Stunde größte Gepäckförderanlage der Welt.

Beumer wird bis Ende 2008 eine Gepäckförderanlage für den Airport Pierre Elliot Trudeau in Montreal installieren, und Vanderlande Industries baut derzeit Gepäckfördersysteme unter anderem für das neue, Ende März in Betrieb gehende Terminal 5 des englischen Flughafens Heathrow, die chinesischen Flughäfen Tianjin Binhai und Wuxi Shuofang sowie für den russischen Airport Vnukovo; zu diesen Projekten später mehr.

Eine der Fragen der Redaktion an Systeme- und Komponentenhersteller lautete, welche besonderen Anforderungen Baggage-Handling-Systeme zu erfüllen haben. „Die weltweit steigenden Passagierzahlen bei Flügen sorgen bei der Gepäckbeförderung für Engpässe. Hohe Durchsatzleistungen und Effizienz auch bei Dauereinsatz auf internationalen Flughäfen sollte also gegeben sein, um Zeitverluste zu vermeiden“, erläutert Thomas Wiesmann, Verkaufsleiter bei Beumer in Beckum.

„Zudem spielen natürlich die Wartungsfreiheit und die hohe Verfügbarkeit gerade in diesem Bereich eine herausragende Rolle, da Ausfallzeiten zu Flugverspätungen führen können. Um dies zu verhindern, werden auch hohe Ansprüche an die Qualität der verwendeten Materialien und Komponenten gestellt“, sagt Wiesmann weiter.

Technikkampf um die „Minimum Connecting Time“

Wie Franz Friese, Pressereferent Industry/Mobility der Siemens AG, Erlangen, feststellt, ist bei Großflughäfen, die häufig Satelliten-Terminals und viele Transfer-Passagiere haben, die beste Minimum Connecting Time (MCT) eine entscheidende Größe. So erreicht Siemens in München und Peking eine MCT von unter 30 min; dies gelte von Flugzeug A nach Flugzeug B, umfasse also mehr als die reine Sortierung.

Und dabei, so Friese, sei die Zuverlässigkeit der Anlagen selbst bei einem Rund-um-die Uhr-Betrieb eine Selbstverständlichkeit. Besonders mit der Tray-Technik habe Siemens weltweite Erfahrung, wie die Anlagen in München, Peking, Dubai, Seoul, Kuala Lumpur oder Madrid zeigten.

Für John Ridgeway, Business Development Manager bei Vanderlande Industries in Mönchengladbach, zählt höchste Zuverlässigkeit zu den zentralen Anforderungen an BHS: „Die Anlagen laufen 24 h am Tag, daher gibt es keine Zeit für Defekte und Reparaturen. Schnelle und einfache Wartung sowie gute Zugänglichkeit sind immens wichtig, damit Teile im Bedarfsfall möglichst schnell ausgewechselt werden können.“

Zudem seien auch Sicherheitsaspekte relevant, fügt Ridgeway hinzu. Die Anlagen müssten in jedem Falle kindersicher und Unfälle ausgeschlossen sein. Deshalb erwiesen sich robuste Technik, Servicefreundlichkeit und Anwenderkompatibilität als Schlüsselargumente für eine erfolgreiche und seriöse Lösung.

Zuverlässigkeit und Sicherheit für den 24-Stunden-Betrieb

Jerry Woodhouse ist Managing Direktor European Operations von FKI Logistex. Ihm zufolge dürfen die Förderzeiten im System, beispielsweise von einem Check-in-Schalter mit Röntgen-Screening bis zur Sortierung zu einer bestimmten Make-Up-Position, nur so lange dauern, dass die Umsteigezeit eingehalten werden kann. Spitzen, die das Doppelte des durchschnittlichen Durchsatzes betragen können, bilden eine zusätzliche und ganz besondere Herausforderung für das BHS.

Wie Woodhouse unterstreicht, fordert die hohe Verfügbarkeit des BHS redundante Sub-Systeme, zuverlässige Techniken und Komponenten, Hot-Standby-Konfiguration für die Steuerungen, zu 100% genaues Tracking-and-Tracing jedes Gepäckstücks durch das ganze System und niedrige System-Gesamtkosten über die gesamte Lebensdauer. Jedes BHS ist nur so gut wie seine Komponenten. Hier spielen Kurvengurtförderer eine in jeder Hinsicht tragende Rolle. Bereits seit Mitte der 70er Jahre ist Transnorm eigenen Aussagen zufolge der weltweit führende Lieferant von Kurvengurtförderern.

Höhere Anforderungen an Kurvengurtförderer für Fluggepäckanlagen

Wie Dipl.-Ing. Sidy Diop, Leiter des Geschäftsbereichs Module der Transnorm System GmbH in Harsum, betont, unterliegen Kurvengurtförderer für Fluggepäckanlagen grundsätzlich härteren Anforderungen als Gurtfördertechnik in klassischen Logistikanwendungen mit einem definierten Fördergutspektrum. Fluggepäck hingegen ist nicht standardisierbar, „Rucksäcke mit scharfkantigen Schnallen, Koffer mit losen Spanngurten oder völlig formlose Reisetaschen muss die Fördertechnik verdauen, ohne dass die Transportgurte aufgeschlitzt werden oder Gepäckteile irgendwo hängen bleiben“.

Hinzu kämen 24-Stunden-Betrieb und auch Witterungseinflüsse, wie der Experte ergänzt. So habe Transnorm in den letzten Jahren bereits mehr als 500 Kurven für den Airport Dubai geliefert, die sich unter den speziellen Bedingungen des Wüsten- und Seeklimas bestens bewährt hätten.

Die Fördertechnikprinzipien sind sehr unterschiedlich

Die speziellen Anforderungen umfassen unter anderem kleine Übergabespalten an die nachfolgende Fördertechnik, passgenaue Seitenführungsbleche oder spezielle Gurtmaterialien. So wurden beispielsweise die Transnorm-Kurven für Dubai speziell mit staubdichten Lagern, besonders verschleißfesten Förderbahnen und gegen Meersalz resistenten Antriebstrommeln ausgerüstet.

Charakteristisch für BHS ist, dass die Systemanbieter auf unterschiedliche Fördertechnikprinzipien als Basis setzen, aus denen sie jeweils Hochleistungssysteme entwickeln. Das BHS schlechthin wird man also in diesem Branchensegment kaum antreffen.

So bietet Beumer mit dem intelligenten Verteilsystem Autover eine multifunktionale Lösung für Gepäcksortierung an. Das System besteht aus einer sensorlosen Fahrschiene und mehreren intelligenten Autoca-Fahrzeugen. Es erfüllt nach Herstellerangaben sehr zuverlässig die Funktionen Fördern, Speichern und Sortieren bei Geschwindigkeiten bis zu 10 m/s.

Intelligentes Verteilsystem Autover arbeitet sehr wirtschaftlich

„Das Autover-System zeichnet sich besonders durch seine einfache Erweiterbarkeit, die berührungslose Energie- und Datenübertragung, Wartungsfreundlichkeit dank selbstdiagnostizierender Autoca-Fahrzeuge sowie eine hohe Verfügbarkeit aus“, so Wiesmann. Und wegen der niedrigen Betriebs-, Wartungs- und Instandhaltungskosten sei es auch noch sehr wirtschaftlich.

Der Kippschalensorter Helixorter mit motorisch betätigten Kippelementen nutzt ebenfalls die Vorzüge der berührungslosen Energie- und Datenübertragung. Wiesmann: „Angetrieben durch berührungslos arbeitende Linearmotoren und ausgerüstet mit speziellen Schalen, die ständig eine geschlossene Oberfläche bilden, stellt dieser Sorter ein Höchstmaß an Durchsatzleistung, Betriebssicherheit und Zuverlässigkeit dar.“

Bis Ende 2008 wird Beumer am internationalen Airport in Montreal ein Sortier- und Verteilsystem des Typs Autover mit einem Schienensystem von 1850 m Länge und 105 Autocas installieren, das den hohen Anforderungen für Flüge in die USA entspricht. In Spitzenzeiten sollen pro Stunde 1800 Gepäckstücke in der neuen Abfertigungshalle aufgegeben und genau kontrolliert werden.

Tray mit Crossbelt – Ein- und Ausschleusen auf einer Ebene

Mit dem neuen Crossbelt-Tray bietet Siemens Mobility ein neuartiges Konzept zur effektiven Gepäcksortierung an. Das Förderkonzept vereint die Vorteile eines schnellen und sicheren Transports der Koffer in Behältern mit der bewährten platzsparenden Sortiertechnik mit Quergurten, denn jeder Behälter des BHS ist mit einem Quergurt ausgestattet, der entsprechend der Wannenform des Behälters konkav ausgeformt ist. Dies sichert eine stabile Lage der Gepäckstücke beim Transport.

Der integrierte Quergurt im Tray ermöglicht das Ausschleusen auf eine Ebene, ohne dass – wie bisher üblich – der Tray seitlich gekippt werden muss, damit die Gepäckstücke herausrutschen. Eingeschleust wird über Gurtförderer. Der sonst übliche Beladevorgang, bei dem die Gepäckstücke in den Tray gefördert werden, entfällt ebenso wie auch technisch aufwändige Kippmechanismen und Rutschvorgänge.

Das dynamische Be- und Entladen kann bei einem bewegten Tray mit bis zu 1,5 m/s beidseitig erfolgen. Angetrieben wird der Quergurt auschließlich mechanisch über Zahnriemen mit Getriebevorgelege, das synchrone und exakte Ein- und Ausschleusen wird über einen Sinamics-Antriebsregler von Siemens gesteuert.

Kombination aus Belt- und Tray-Technologie in Dubai

Für das gigantische BHS im Terminal 3 des Flughafens Dubai hat Siemens für den Gepäcktransport eine Kombination aus Belt- und Tray-Technologie ausgewählt. Um große Entfernungen zu überbrücken, hat sich auf internationalen Großflughäfen die Tray-Technologie als die geeignete, wenn auch kostspieligere Variante durchgesetzt. Dies ist am Flughafen Dubai mit 90 km Gesamtlänge des BHS gegeben.

Zudem werden 70% Transfergepäck erwartet und eine MCT von 45 min verlangt. Hierfür bietet der Transport des Gepäcks in einem fest zugeordneten Behälter eine Transportgeschwindigkeit von 27 km/h auf den geraden Streckenabschnitten, wobei die Gepäckstücke über Strecken zwischen 2 und 5 km transportiert werden. Mehr als 800 RFID-Schreib-Lese-Stationen gewährleisten eine hundertprozentige Verfolgung des Gepäcks in der Anlage.

Neues Sortiersystem für mittlere Kapazitäten

Zu den Neuheiten von Vanderlande Industries im Bereiche Baggage Handling zählt das Sortiersystem Baxorter für den mittleren Kapazitätsbereich. Das System bietet eine kosteneffiziente automatisierte Gepäcksortierung mit hoher Sortierqualität und erfülle Kapazitätsanforderungen bis zu 2500 Gepäckstücken pro Stunde. Der Baxorter, so Vanderlande, fülle die Lücke zwischen den Kippschalensortiersystemen mit hoher und den Rundlaufsystemen mit geringerer Kapazität und könne Zunahmen der Gepäckmengen angepasst werden.

Das System zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität bei der Anzahl der Sortierausgänge zu Flügen oder Zielorten aus. Wie Vanderlande mitteilt, ermöglicht es durch die Kombination von Vorsortierungen und Endsortierung eine Optimierung des Gepäckförderprozesses, wobei ein einziges System alle Aufgaben der Gepäckförderung kosteneffizient erledigt. Die Hauptanwendungsbereiche für den Baxorter werden in der Endsortierung zur Flugabfertigung oder die Vorsortierung sein, wie bespielsweise das Leiten von Check-in- und Transfergepäck zu manuellen Codierstationen, Warte-stationen, Hold Baggage Screening (HBS) und Anschluss-Systemen.

Mit Tubtrax lassen sich Anlagen hoher Modularität realisieren

Mit Transportwannen oder -behältern arbeitet das System Tubtrax, mit dem sich Anlagen hoher Modularität und Erweiterungsfähigkeit verwirklichen lassen. Das mehr als 7 m/s schnelle System ist kompatibel mit Bagtrax und beispielsweise auf den Flughäfen Amsterdam Schiphol, Barcelona, Leipzig-Halle und London-Heathrow installiert. Zu den vielen aktuellen BHS-Projekten von Vanderlande zählen der internationale Flughafen Tianjin, wo vier T-förmige und zwei U-förmige flache Triplanars, zwei Vertibelts sowie drei vertikale Sortierer installiert werden.

Ende März 2008 wird das neue Terminal 5 des Londoner Flughafens Heathrow eröffnet, an dem auch der neue Airbus A 380 bedient wird. Als Generalunternehmer (GU) hat Vanderlande ein umfassendes Gepäckfördersystem mit Helixorter und Bagtrax-Anlagen mit einem Durchsatz von 12 000 Stück pro Stunde realisiert. Hinzu kommen Anlagen für die Bereiche Check-in,Transfer, Reclaim Identifikation, Frühgepäckspeicher und Screening.

Im Januar 2008 wurde das Gepäckfördersystem des neuen Skylink-Terminals des Flughafens Wien in Betrieb genommen. Vanderlande hat als GU die Bereiche Check-in, Transfergepäck, Sortierung und Ankunftsgepäckausgabe sowie die gesamte Steuerungstechnik auf SPS- und Leitrechnerebene realisiert. Bis zu 3500 Gepäckstücke pro Stunde werden von den neuen 64 Check-ins über eine mehrstufige Röntgenkontrolle bis zur Endsortierung transportiert. Zudem ermöglichen zehn Transfer-Aufgaben eine Verarbeitung von bis zu 8000 Gepäckstücken pro Stunde.

Wir bleiben gleich in Österreich und werfen einen Bick auf die vom Systemintegrator FKI Logistex realisierte Sortieranlage des Salzburg Airport, für die Interroll ihre Belt Curve plus geliefert hat, sowohl für die X-Ray-Stationen als auch für die Förderstrecken in die Gepäcksortierhallen. Wie die Verantwortlichen von Interroll erläutern, erschließen enge Kurvenradien und die signifikant reduzierte Bauhöhe der Belt Curve plus zunächst wichtige Platzsparpotenziale und erlauben eine flexible Anlagenprojektierung. Für lange Lebensdauer sorgen das schlupffreie Antriebskonzept, die geringe Gurtspannung und die Gurtführung. Die variable Fördergeschwindigkeit beträgt bis zu 2,5 m/s.

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