Urbane Logistik Schuhpakete sind keine Wählerstimmen

Weltweit zieht es die Menschen in die Städte, gleichzeitig bestellt jeder immer lieber online. KEP-Dienstleister werden nicht zuletzt deswegen immer häufiger als Aggressoren der Innenstädte wahrgenommen. Wie kann gegengesteuert werden?

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Johann Friedrich Colsman bestätigt die Zunahme des "distance selling" in Europa.
Johann Friedrich Colsman bestätigt die Zunahme des "distance selling" in Europa.
(Bild: Maienschein)

Marten Bosselmann ist Geschäftsführer des Bundesverbands Paket & Expresslogistik (BIEK) e.V. und Moderater der heutigen Session „Urbane Logistik und Infrastruktur“ auf dem 32. Deutschen Logistik-Kongress im Hotel Intercontinental in Berlin. Bosselmann, dessen KEP-Branche hierzulande rund 200.000 Menschen Arbeit gibt und in diesem Jahr rund 17 Mrd. Euro umsetzt, bringt die Situation auf den Punkt: „Die ‚letzte Meile‘ ist zwischen 30 und 100 km lang, eine Lösung ,one fits all‘ gibt es nicht.“ Vernünftige Lösungen müssten in Kooperation mit den Städten entstehen.

„Flickenteppich“ lokaler Lösungen

Für Johann Friedrich Colsman, Leiter des Referats Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, liegen die Schwierigkeit der urbanen Logistik in der unterschiedlichen historischen Entwicklung der europäischen Innenstädte und auch in den starken klimatischen und topologischen Unterschieden in Europa begründet. Unterschiedliche politische, administrative und planerische Ansätze kämen hinzu. Das Ergebnis sei ein „Flickenteppich“ lokaler Lösungen, beispielsweise räumliche, zeitliche oder Fahrzeug-Beschränkungen. Die Europäische Kommission schätzt die Verluste aus der Verdichtung des europäischen Innenstadtverkehrs auf jährlich etwa 80 Mrd. Euro. Dabei gelte die politische Aufmerksamkeit beim Thema „urbane Logistik“ in erster Linie dem Personenverkehr und nicht den Gütern. „Schuhpakete sind keine Wählerstimmen“, so sein Credo. Aus EU-Sicht seien die wichtigsten Punkte in diesem Zusammenhang Verkehrsinformationen, Verkehrsmanagement, Navigationssysteme und modulierte Nutzergebühren.

Für Wolfgang Lehmacher vom World Economic Forum ist die zunehmende Urbanisierung der Bevölkerung eine lösbare Aufgabe.
Für Wolfgang Lehmacher vom World Economic Forum ist die zunehmende Urbanisierung der Bevölkerung eine lösbare Aufgabe.
(Bild: Maienschein)

Laut Wolfgang Lehmacher, beim Weltwirtschaftsforum Leiter der Supply-Chain- und Industriegruppe, verursachen Städte heute schon 80 % der weltweiten CO2-Emissionen, bedecken aber nur 3 % der Erdoberfläche. Lehmacher lebt zur Zeit in New York, war vorher lange Jahre in Hongkong, Shanghai und Paris beheimatet – er weiß, wovon er spricht. „Monatlich zieht circa einmal die Bevölkerung von Dänemark in Städte“, so der Mann des World Economic Forum. In Tokyo, der im Moment größten Stadt der Welt, leben 38 Mio. Einwohner, was 2642 Menschen pro Quadratkilometer entspräche. Und es geht noch größer: Im chinesischen Perlfluss-Delta entsteht derzeit durch das Zusammenwachsen mehrerer Städte eine Giga-Stadt mit etwa 80 Mio. Einwohner – grob die Bevölkerung Deutschlands. Ressourcenbedarf und Umweltbedrohung stiegen demzufolge immens, die Lebensqualität sei gefährdet.

Passend zum Kongress bemüht Lehmacher Zahlen zur Stadt Berlin: In der Bundeshauptstadt seien rund 1,15 Mio. Fahrzeuge unterwegs, deren Lenker täglich im Durchschnitt 4,3 km und 20 Minuten auf der Suche nach einem Parkplatz unterwegs sind. Die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit liege bei nur 24 km/h, in Städten wie London sogar nur bei 19 km/h. „Die Leute machen sich wenig Gedanken – im Vordergrund steht immer der Personenverkehr.“ Die Urbanisierung stelle Gesellschaft, Wirtschaft und Logistik vor anspruchsvolle, aber lösbare Aufgaben.

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