Interview „Die Lieferketten brauchen einen Paradigmenwechsel”
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Schaeffler-Vorstand Andreas Schick erklärt, wie Supply Chains jetzt gestaltet werden müssen und warum sein Unternehmen die Produktion schon heute komplett neu denkt.

Die Krisen der vergangenen zwei Jahre haben die globalen Lieferketten an ihre Grenzen gebracht und stellen mittlerweile ein ernstes Risiko für produzierende Unternehmen in Deutschland dar. Im Gespräch mit MM Maschinenmarkt erläutert Andreas Schick, Vorstand Produktion, Supply Chain Management und Einkauf der Schaeffler AG, was die Supply Chains der Zukunft leisten müssen.
Herr Schick, Sie sind Vorstand Produktion, Supply Chain Management und Einkauf. Gerade Supply Chain Management und Einkauf dürften aktuell nicht unbedingt viel Freude bringen …
Andreas Schick: Natürlich stehen wir aktuell vor sehr, sehr großen Herausforderungen. Man kann ja sagen, dass sich die Probleme geradezu kumulieren. Mit Beginn der Pandemie vor zwei Jahren haben wir schmerzhaft gelernt, wie kritisch und systemrelevant Lieferketten wirklich sind. Wir haben unsere Lieferketten extrem strapaziert, dabei aber auch festgestellt, dass wir in der Automobilindustrie schon sehr robuste globale Systeme entwickelt haben. Also, es gibt durchaus Positives, das wir mitnehmen können. Allerdings können diese Systeme aktuell nur mit einem deutlichen Mehraufwand aufrechterhalten werden. Darunter verstehe ich unter anderem deutlich längere Transportzeiten bei gleichzeitig signifikant gestiegenen Kosten. Und dann, bevor das erste Problem komplett ausgestanden ist, kommen neue Störungen hinzu. Ich meine die Explosion der Rohstoffpreise im letzten Jahr, Energieversorgungsprobleme und dann noch Krieg in Europa. Dadurch wird das System aktuell wieder maximal strapaziert. Wollen wir es positiv formulieren, könnten wir sagen, das beschleunigt unsere Transformation. Klar ist aber, neue und sichere Lieferketten aufzubauen, ist aktuell unsere größte Herausforderung.
Welche Ideen haben Sie dafür?
Schick: Zunächst müssen wir uns fragen, was eigentlich unser Ziel ist. Sicher können wir globale Lieferketten mit dem entsprechenden Einsatz aufrechterhalten. Aber ist das auch der sinnvollste Weg? Oder müssen wir einfach konsequent in ein Reshoring gehen und unsere Lieferketten wieder kürzer machen, also wieder regionaler werden? Ich bin überzeugt, dass es nicht die eine Lösung geben wird. Wir kommen aus globalen Strukturen und es wird auch in Zukunft sinnvoll sein, die Vorteile unterschiedlicher Regionen weltweit zu nutzen. An anderer Stelle müssen wir umdenken und den Weg in die Regionalisierung antreten. Dabei spielt auch der Nachhaltigkeitsaspekt eine ganz wichtige Rolle.
Ist Dual Sourcing, also die Verteilung auf mehrere Quellen, auch ein Thema für Sie?
Schick: Dual Sourcing ist bei uns schon seit Langem Standard. Das machen wir da, wo es sinnvoll ist, also beispielsweise die Volumen groß genug sind. Für die aktuellen Herausforderungen wird Dual Sourcing aber nicht die Lösung sein. Es ist ein Glied in der Kette, das steht außer Frage, aber wir müssen unsere Lieferketten tatsächlich resilient und anpassungsfähig machen. Das bedingt ja auch der immer volatiler werdende Markt, durch den es unter anderem große Schwankungen in den Bedarfen gibt. Diese Anpassungsfähigkeit zu erreichen, ist bei langen Lieferketten um ein Vielfaches schwieriger als bei kurzen.
Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir kürzere Lieferketten schaffen. Die Kosten zu optimieren, ist dann unsere Aufgabe.
Diese größere Sicherheit in der Lieferkette müssen Sie sich an mancher Stelle aber sicher auch teuer erkaufen. Beispielsweise indem Sie Produktionsketten aus Niedriglohnländern in Hochlohnländer verlegen.
Schick: Wir müssen an dieser Stelle ein paar Paradigmen auflösen, die bisher immer galten. Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir kürzere Lieferketten schaffen. Die Kosten zu optimieren, ist dann unsere Aufgabe. Das bedeutet im Kern, dass wir die Wertschöpfungskette ganzheitlich betrachten müssen, um festzustellen, wofür welche Kosten verursacht werden. Und natürlich, wie wir diese optimieren können. Ein Beispiel für solche Überlegungen ist unser kürzlich in Höchstadt eingeweihtes Werkzeugtechnologiezentrum. Wir könnten den Werkzeugbau auch an einen beliebigen Ort auslagern. Wir haben es aber geschafft, diesen Bereich so aufzustellen, dass er höchsten technologischen Anforderungen entspricht und gleichzeitig kostengünstiger ist als jeder Werkzeugbau irgendwo anders auf der Welt. Das liegt unter anderem am hohen Automatisierungsgrad. Wir sprechen hier von einem Faktor eins zu vier. Also eine Person bedient mindestens vier Maschinen und die Maschinen laufen eigenständig 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen in der Woche. Über solche Hebel können wir die beiden genannten Ansprüche verbinden, Nähe und Kosten.
Noch komplizierter wird die Situation durch die von Ihnen bereits angesprochenen gestiegenen Rohstoffkosten. Hier werden Sie wenig optimieren können, also müssen Sie diese an Ihre Kunden weitergeben.
Schick: Da haben Sie recht, das ist ein Thema, in das wir aktuell viel Energie legen. Natürlich müssen wir mit diesen Schwankungen umgehen und die Veränderungen der Preise an unsere Kunden weitergeben. Dabei ist es sehr wichtig, dass man ganz klar und konsequent agiert und kommuniziert. Wir haben immer den Anspruch gehabt, unsere Produktivität Jahr für Jahr zu steigern, und das ist auch weiter unser Ziel. So können wir Preise unter normalen Voraussetzungen stabil halten. Bei Kostensteigerungen von 20 Prozent oder mehr, wie wir sie aktuell sehen, ist das aber nicht mehr möglich. Also ist eine Preissteigerung die einzige Option. Aber einfach ist das definitiv nicht. Gerade in der Automobilindustrie ist es eine Riesenherausforderung und ebenfalls wieder ein echter Paradigmenwechsel.
Die Lieferketten müssen sich also deutlich ändern. Aber was ist mit der Produktion, müssen wir auch diese komplett neu denken?
Schick: Das müssen wir nicht nur, das tun wir bereits. Wir sprechen dabei von unserer Roadmap 2025 und diskutieren über die Veränderung der Wertschöpfungsgrenzen und Schnittstellen. Es geht darum, zu entscheiden, welche Art der Wertschöpfung wir zukünftig haben wollen und wo diese Wertschöpfung stattfinden soll. Dabei ist ein Commitment zu nachhaltigem Verhalten, nachhaltiger Produktion und auch nachhaltiger Produktentwicklung ganz entscheidend. Ein Kernpunkt ist nachhaltige Energie. Aber diese muss nicht nur produziert werden, wir müssen sie auch zu den Produktionsstätten bringen. Oder – auch das ist ein Weg – die Industrie zieht dorthin, wo nachhaltige Energie verfügbar ist.
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Innovationsstärkung
Schaeffler setzt nicht nur auf ein neues Zentrallabor
Dabei sind Rohstoffe doch sicher auch ein wichtiges Thema.
Schick: Natürlich. Für uns spielt Stahl beispielsweise eine fundamentale Rolle. Etwa zwei Drittel unserer Bill of Material ist Stahl und das wird auch auf Sicht so bleiben. Die Herstellung dieses Stahls ist über den Kohlenstoffreduktionsprozess stark CO2 emittierend. Hier sind wir zum Beispiel gerade dabei, mit unserem Partner H2 Green Steel den Stahlbezug für uns komplett neu zu definieren. Dabei gehen wir weg von den klassischen Herstellern und suchen uns neue, die das bieten, was wir benötigen. Sie sehen, auch die Stahlindustrie wird sich neu erfinden müssen, weg von der Herstellung mittels Kohle hin zur wasserstoffbasierten Stahlherstellung. Auch in diesem Fall kann das Ergebnis sein, dass Stahl nicht mehr in seinen angestammten Regionen produziert wird, sondern an neuen Plätzen, wo die benötigte Infrastruktur vorhanden ist.
Bedeutet grüne Stahlherstellung dann direkt die nächste Steigerung bei den Rohstoffpreisen?
Schick: Es kann durchaus sein, dass zu Beginn Mehrkosten entstehen. Aber ich kann nur wiederholen, dass die Erfolgsformel darin liegt, so effizient wie möglich zu produzieren. Und man darf die CO2-Bepreisung nicht vergessen. Diese wird in den kommenden Jahren eine gewichtige Rolle spielen. Aktuell liegt der Preis bei knapp 100 Euro pro Tonne. Es können aber zukünftig auch gut und gerne 200 Euro werden. Das ist dann durchaus eine relevante Summe. Der Politik kommt dabei die Aufgabe zu für Fairness innerhalb des Marktes zu sorgen. So muss sichergestellt werden, dass nicht gleichzeitig brauner Stahl aus anderen Regionen der Welt importiert wird, der nicht mit denselben Auflagen belegt wurde.
Es sind also vor allem finanzielle Anreize, die zu einer Veränderung hin zu einer grüneren Industrie führen?
Schick: Sie spielen auch eine Rolle, aber nicht ausschließlich. Ich möchte, dass meine Familie hier auch in Zukunft noch gut leben kann, und das ist bei unseren Kunden nicht anders. Wir möchten alle weiterhin guten Gewissens in den Spiegel sehen können und dafür sind diese Veränderungen nötig. MM
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