Interview Keine Updates mehr und immer flexibel
Manhattan Associates (MANH), US-amerikanischer Anbieter von Supply-Chain- und Omnichannel-Lösungen mit Sitz in Atlanta (Georgia), hat sein 3. Quartal 2019 mit einem Rekordumsatz von 162,3 Mio. US-Dollar (146,2 Mio. Euro) abgeschlossen. Wir trafen Henri Seroux und Alex Voigt auf der „Manhattan Exchange 2019“ in Barcelona zum Interview.
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Hohes Geschäftsvolumen in den Segmenten Cloud, Lizenzen und Services treibt bei Manhattan Associates die Erlöse. Die starke Nachfrage nach den Kernprodukten des Unternehmens führte zum organischen Wachstum und zu positiven Aussichten für das verbleibende Quartal.
Herr Seroux, was genau ist das Geschäftsmodell von Manhattan Associates? Und welche Branchen fokussieren Sie?
Henri Seroux: Wir sind ein Unternehmen, das Softwarelösungen anbietet, aber unserer DNA nach sind wir auch ein Serviceanbieter. Über die Hälfte der 3100 Angestellten bei Manhattan hat Kompetenzen in der Implementierung dieser Dienste: zum Beispiel Logistikfachleute und Projektleiter – Personen, die mit Kunden arbeiten, um diese Lösungen einzusetzen. Nächstes Jahr hat Manhattan sein 30-jähriges Jubiläum. In Europa sind wir seit 20 Jahren aktiv. Unser Kernmarkt war damals – und ist es immer noch – das Lagerverwaltungssystem und das Logistiksystem. Das bedeutet: eine Zusammenarbeit mit der Lagerverwaltung in Verteilzentren jeder Art und Größe und eine Fokussierung auf die Logistikoptimierung vor und nach dem Verteilzentrum.
Wenden Sie sich mit Ihrem Angebot an Endkunden oder auch an Supply-Chain-Unternehmen?
Seroux: Wir arbeiten mit Herstellern zusammen, mit dem Einzelhandel, aber auch mit 3PL-Unternehmen wie DHL und anderen, die ihre Dienste den Produzenten und dem Handel anbieten. Aber die Welt hat sich im Zuge des E-Commerce und der Digitalisierung in den letzten zehn Jahren stark verändert: Bei B2B- wie bei Endkunden merkt man, dass der Konsum fragmentierter und kurzlebiger geworden ist. Sodass wir diese Kunden auch mit Auftragsmanagementlösungen versorgen müssen, damit sie kluge Entscheidungen über ihre Warenquellen treffen können und über alle virtuellen Dienste verfügen, um ihre Waren überall einkaufen, sie von jedem Ort verschicken und an jedem beliebigen Punkt empfangen zu können. Heute decken die Lösungen von Manhattan das gesamte Spektrum der Lieferkette und des Handels ab. Das richtet sich auch an Unternehmen der Lieferkette, die für ihre Kunden nur Teile von Netzwerken betreiben. Weil Sie nach dem Endverbraucher fragen: Normalerweise adressieren wir das B2B-Segment, Personen, die im Lager arbeiten. Aber letztes Jahr hat Manhattan zum ersten Mal eine App kreiert, die vom Verbraucher selbst auf seinem Smartphone genutzt werden kann, und zwar, um den genauen Status einer E-Commerce-Sendung zu verfolgen. Das war wirklich das erste Mal, dass wir jemandem eine App an die Hand gegeben haben, die auf Endverbraucher abgestimmt ist.
Ihr Kernprodukt heißt „Manhattan Active“ – in den verschiedensten Ausprägungen. Was ist daran so „aktiv“? Das Geschäft müssen ja immer noch Ihre Kunden machen ...
Seroux: Mit „Manhattan Active“ kennzeichnen wir diejenigen Produkte, die wir über die Cloud anbieten – so bieten wir „Manhattan Active WMS“ oder „Manhattan Active Order Management Solution“ an. „Active“ bedeutet „in der Cloud verfügbar“, also immer aktuell: keine Updates mehr und immer flexibel.
Gibt es auf Kundenseite eine „kritische Größe“, wo Sie sagen: Darunter rentiert es sich nicht, auf Lösungen von Manhattan Associates zu setzen?
Seroux: Das ist eine interessante Frage. Wir sind sehr flexibel, aber es stimmt, dass ein Großteil unserer Kundschaft dem ersten, zweiten und oberen dritten Rang angehören – hier können wir die größten Skaleneffekte erzielen. Gleichzeitig bemerken wir aber, dass es heute kleinere Firmen gibt, die eine steile Wachstumskurve an den Tag legen, zum Beispiel in Industrien wie dem E-Commerce. Die fangen relativ klein an, wollen aber alsbald aufrüsten und eine hypereffiziente internationale Präsenz aufbauen. Allerdings keine Start-ups, denn die können unsere Lösungen sozusagen huckepack über einen Logistikpartner nutzen. Und sie können dann auch wirklich klein sein, weil wir in der Lage sind, Multiuser-Anlagen aufzubauen, in denen mehrere kleine Firmen zur Optimierung des gleichen Lagers beitragen. Und sie zahlen nur für das, was sie selbst verbrauchen.
Welche Funktionsträger in den Unternehmen adressieren Sie am stärksten: Sind es die Warehouse-Manager, die Supply-Chain-Manager oder doch eher die Leute in Einkauf und Sales?
Seroux: Wir beschäftigen uns zunehmend mit der Optimierung des E-Commerce. Folglich reden wir mit den Personen, die die Kundenbeziehungen bestimmen, denn was sie ihren Kunden anbieten, ist wirklich wichtig. Natürlich sprechen wir aber auch mit Supply-Chain-Direktoren und Vertriebsleitern und natürlich mit den IT-Abteilungen.
Alex Voigt: Sie haben schon gehört, dass für uns der ganze Prozess, von der Logistik bis zum E-Commerce, ein einziger Vorgang ist. Sie als Kunde steigen ein, um online oder offline einzukaufen, Ihnen ist es gleich. Ihr einziger Wunsch ist es, sicher zu sein, dass die Engine im Hintergrund funktioniert. Für uns ist es, von der Logistik her kommend, der nächste logische Schritt, dass wir die ganze Auftragsverwaltung und Funktionalität hinzufügen, damit alles über die Kundenschnittstelle funktioniert. Wir kommen vom WMS und kümmern uns jetzt um die Auftragsverwaltung. Beides ist in vielen Organisationen ziemlich isoliert. Wir helfen den Firmen, zur Einsicht zu gelangen, dass sie nicht einfach ihr Lager optimieren und erst dann mit der Optimierung ihrer E-Commerce-Prozesse anfangen – man sollte über beides ganzheitlicher nachdenken. Das findet jetzt statt, und zwar, wie Henri schon sagte, bis zum Point of Sale des Kunden. Das bedeutet Mehrwert sowohl für unsere Services als auch für den Endkunden.
Sie sagen, Sie verbessern die Lieferketten Ihrer Kunden. An welchen Hebeln setzen Sie dabei an?
Seroux: Normalerweise versuchen wir, den Warenfluss zu beschleunigen. Das bedeutet, dass wir den Logistikfluss im Wareneingang digital integrieren, damit die Firma kluge Entscheidungen fällen kann, wie diese Waren möglichst schnell vereinnahmt und wieder hinausgeschickt werden können. Größerer Durchsatz im Lager reduziert den Kapitalaufwand. Des Weiteren verbessern wir die Produktivität im Lager, wir reduzieren die Logistikkosten je Einheit. Wir reduzieren die Kosten auch dadurch, dass wir die richtige Spedition und Versendungsart wählen und die Lkw so gut wie möglich auslasten, um Leerräume zu reduzieren. Fest steht ja, dass die Kosten für Lagerung und Spedition die zwei größten Kostentreiber in der Lieferkette sind. Die dritte Dimension, die sich schwerer einschätzen lässt, aber manchmal die größte Kapitalrendite mit sich bringt, ist die größere Kundentreue, die aus einem besseren Service resultiert: Etwa wenn man einen größeren Prozentsatz der Aufträge erfüllt oder eine größere Kundenzufriedenheit erzielt – gerade im E-Commerce, wo das so wichtig ist und einiges leicht schiefgehen kann. Durch einen guten Service, meinen wir, können wir tatsächlich auch den Umsatz erheblich beeinflussen, nicht nur die Kosten.
Wie schaffen Sie es, Ihren Kunden bei deren Spagat zwischen stationärem Verkauf und digitalem Vertrieb zu helfen?
Voigt: Was Firmen suchen sind Lösungen, die es ermöglichen, Inventarinhalte bestimmten Lagern zuzuordnen, wo die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie dort verkauft werden. Das betrifft auch die Retouren, denn keiner will Retouren. Man hat nur begrenzte Möglichkeiten, Kunden zu beeinflussen. Wenn wir aber dieses „Wie“ näher anschauen, sehen wir eine ganze Menge an Komplexität, wo wir uns vom restlichen Markt absetzen in dem Sinne, dass wir auf gewissen Ebenen optimieren können, wo es kein anderer kann.
Stichwort Europa: Wie es aussieht, steht der Brexit unmittelbar bevor. Haben Sie Ihre Lösungen daran angepasst? Will heißen: Sind Ihre Kunden softwaretechnisch vorbereitet?
Seroux: Ich denke, unsere Klienten versuchen, sich vorzubereiten – aber worauf? Das ist die große Frage. Und diese Brexit-Frage bringt mich in Verlegenheit, weil ich nicht glaube, dass wir wirklich besser wissen, was passieren wird, als jedes Mitglied der Regierung oder jeder Vorstand der großen Firmen. Es herrscht dementsprechend große Unsicherheit.
Voigt: Eine Antwort ist vielleicht, dass unsere Systeme es natürlich ermöglichen, dass sich unsere Kunden sehr agil und sehr flexibel auf neue Situationen einstellen können – egal, was passiert. Denn, wie Henri sagt: Wir haben keine Ahnung, wo das alles hinführt, und im Augenblick weiß es auch keiner, glaube ich. Und das Gleiche gilt wohl auch für unsere Kunden. Was wir machen können, ist, ihnen eine solche Flexibilität zu geben, dass sie sehr schnell reagieren können, wenn eine Entscheidung in eine Richtung oder die andere gefällt wird.
Herr Seroux, Herr Voigt, haben Sie recht herzlichen Dank für dieses Interview. Viel Erfolg für Ihre „Manhattan Exchange 2019“!
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