Fördertechnik 4.0 Wird die Fördertechnik dem Anspruch von Industrie 4.0 schon heute gerecht?

Autor M. A. Benedikt Hofmann

In diesem Artikel unserer Serie „Intralogistik 4.0“ rückt die Fördertechnik in den Mittelpunkt. Als Zentrum aller automatisierten Logistikprozesse kommt dieser im Hinblick auf Digitalisierung und Automatisierung natürlich eine besondere Rolle zu. Gemeinsam mit Experten aus Forschung und Wissenschaft haben wir die Gegenwart und Zukunft der Technologie erörtert und betrachtet. Dabei geht es unter anderem um modulare Systeme und autonome Fahrzeuge.

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Die Intralogistikexperten von SSI Schäfer sehen sich bereits seit geraumer Zeit als Teil der vierten industriellen Revolution, unter anderem da die Anlagen des Unternehmens das Internet der Dinge unterstützen.
Die Intralogistikexperten von SSI Schäfer sehen sich bereits seit geraumer Zeit als Teil der vierten industriellen Revolution, unter anderem da die Anlagen des Unternehmens das Internet der Dinge unterstützen.
(Bild: SSI Schäfer)

Schon Realität oder noch Zukunftsmusik? Diese Frage begleitet Redakteure auf Schritt und Tritt, wenn Sie sich mit dem Thema Industrie 4.0 befassen. Abschließend kann diese Frage momentan wohl nicht beantwortet werden, da sich die Antwort von Industrie zu Industrie und von Teilbereich zu Teilbereich deutlich unterscheiden kann. Die zweite Frage, der wir uns in nahezu jedem Beitrag zu diesem Thema stellen heißt, Hype oder realer, epochemachender Wandel? Auf diese Frage gibt es Prof. Kai Furmans, Leiter des Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), zufolge aber eine klare Antwort: „Industrie 4.0 ist zwar ein geniales Marketing, hat aber einen sehr realen Hintergrund und deshalb ist es wichtig, dass sowohl die Maschinen- und Anlagenbauer als auch die Anwender sich mit dem Thema auseinandersetzen. Es zeigt sich, dass durch die Digitalisierung und daraus resultierenden Fähigkeiten neue Geschäftsmodelle und Möglichkeiten entstehen – und das wird bleiben.“

Als direktes Ergebnis dieser Entwicklungen könnte man beispielsweise das Wiedererstarken der fahrerlosen Transportsysteme sehen oder auch die Entwicklung neuer Kommissioniersysteme auf Basis derartiger Fahrzeuge. Auch Schlagworte wie die Interaktion von Mensch und Maschine oder Plug-&-play-Technologien, die das Thema Fördertechnik zum Mieten auf den Plan rufen, können als Beispiele für die Umsetzung von Fördertechnik 4.0 gesehen werden.

Ergänzendes zum Thema
Flurförderzeuge
Die Vorteile von Industrie 4.0

Laut den Experten von Magazino bietet die Umsetzung von Industrie 4.0 bei Flurförderzeugen den Anwendern ganz konkrete Vorteile:

  • Reduzierung bei der Abhängigkeit von Personal;
  • Senkung von Personalkosten;
  • erhöhte Performance;
  • Ausweitung der Betriebszeiten (zum Beispiel nachts oder an Sonn- und Feiertagen);
  • Fehlervermeidung und Transparenz in der Lieferkette;
  • erhöhte Sicherheit und weniger Unfälle;
  • reduzierte Wartungskosten.

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Autonomie im Lager

Ein fast schon prototypischer Beleg dafür, dass diese Überlegungen nicht nur graue Theorie, sondern längst in der Realität angekommen sind, ist das Start-up Magazino aus München. In nur wenigen Jahren hat es sich mit seinen autonomen Kommissionierrobotern zu einem ernst zu nehmenden Player in der Branche gemausert. Die Experten des Unternehmens gehen davon aus, dass Flurförderzeuge zunehmend mit mehr Sensortechnik ausgestattet werden. Das soll dazu führen, dass sich in Zukunft viele Flurförderzeuge autonom oder dank der vielen Sensoren zumindest semiautonom durch die Arbeitsumgebung bewegen. Auf diese Weise können drohende Kollisionen oder gefährliche Situationen frühzeitig erkannt und vermieden werden. Über Indoor-Lokalisierung lässt sich in Zukunft außerdem in Echtzeit jede Position der Fahrzeuge nachvollziehen, wodurch innerbetriebliche Abläufe noch besser und effizienter gestaltet werden können.

„In den meisten Bereichen werden autonome Systeme einfache Aufgaben übernehmen können. Unser Kommissionierroboter Toru kann bereits heute parallel zum Menschen im Lager eingesetzt werden“, so Frederik Brantner, Mitgründer und CEO von Magazino. „Es wird allerdings auch in Zukunft noch viele Bereiche mit komplexer Umwelt geben, in denen selbst leistungsfähige Systeme zur autonomen Navigation überfordert sein könnten und deshalb aus Gründen der Sicherheit oder Wirtschaftlichkeit immer noch manuell gesteuerte Fahrzeuge eingesetzt werden.“

Der Kommissionierroboter Toru kann bereits heute parallel zum Menschen im Lager eingesetzt werden.
Der Kommissionierroboter Toru kann bereits heute parallel zum Menschen im Lager eingesetzt werden.
(Bild: Magazino)

Auf lange Sicht zeichnet sich Brantner zufolge ab, dass zur Objektaufnahme beziehungsweise -abgabe ein Manipulator auf dem FTS benötigt wird. Ein reines Transportmittel reicht oftmals nicht mehr aus. In der Vorzone oder an den Bahnhöfen wird ansonsten wieder zusätzliche Technik oder manuelle Arbeit notwendig, um die Objekte aufzunehmen oder abzugeben. Durch die immer feiner werdende Sensorik für die freie Navigation und die Komplexität durch einen Manipulator steigen aber auch die Ansprüche an die Software. Es braucht also ganz neue Ansätze für Betriebssysteme, welche die Umwelt des Roboters, die Objekte, das Auftragsmanagement und das Fahrzeug selbst intelligent steuern, überwachen und koordinieren. „Der Einsatz von künstlicher Intelligenz wird gerade in diesem Bereich in den nächsten Jahren große Fortschritte machen,“ so der Unternehmensgründer.

Modulare Lösung

Gebhardt Fördertechnik ist zwar alles andere als ein neuer Player am Markt, liegt beispielsweise mit der Ausgründung von Next Intralogistics aber ebenfalls voll im Trend. Das Unternehmen ist auf den Verkauf, das Vermieten und Leasing von flexiblen, skalierbaren Förderanlagen spezialisiert. Grundlage für dieses Angebot sind die Lösungen von Gebhardt. „Wir beteiligen uns nicht am Umtaufen bestehender Produkte aus reinen Marketingzwecken. Wo bei Gebhardt Industrie 4.0 drauf steht, ist auch Industrie 4.0 drin. Die Beispiele für Industrie-4.0-Produkte bei uns sind vielfältig. Der Flex Conveyor zum Beispiel ist ein vollständig dezentral gesteuerter Fördertechnikbaukasten, der sich nach dem Aufbau selbst programmiert, konfiguriert und selbstständig eine Visualisierung erstellt“, erklärt Marco Gebhardt, Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens. Ähnliches gilt für das Palettenshuttle OLPS, das sich autonom in einer Lagerstruktur bewegt und Transport- und Lageraufträge ausführt. Die Shuttles stimmen sich dezentral untereinander ab und versuchen so, die optimale Leistung zu erbringen. Beide Lösungen beruhen – und das eint viele der aktuellen Industrie-4.0-Produkte – auf langjähriger Entwicklungsarbeit, an der auch Partner aus der Forschung beteiligt waren.

Jedes Modul des Flex Conveyors ist mit einer eigenen intelligenten Steuerung ausgestattet, wodurch keine zentrale Steuerung benötigt wird.
Jedes Modul des Flex Conveyors ist mit einer eigenen intelligenten Steuerung ausgestattet, wodurch keine zentrale Steuerung benötigt wird.
(Bild: Gebhardt Fördertechnik)

Bei Entwicklungsprojekten wie diesen ermöglichen Vernetzung und Digitalisierung Gebhardt zufolge völlig neue Ansätze: „Die Fortschritte der IT befeuern diese Entwicklung zusätzlich. Viele unserer neuen Produkte wären vor ein paar Jahren in dieser Form noch nicht umsetzbar gewesen. Das alles ist heute aus unserer Sicht noch keine Revolution aber sicher auf dem besten Weg dorthin.“ Dabei geht es allerdings, wie häufig angemahnt wird, nicht darum, einfach alles zu vernetzen und Unmengen von Daten zu erheben; Ziel muss es natürlich sein, die Daten dann auch zu nutzen und so einen Mehrwert zu schaffen. Deshalb legen die Experten bei Gebhardt besonderen Wert darauf, dass sich immer ein konkreter Funktionsvorteil ergibt, bevor neue Technologien in Produkte integriert werden. „Systeme wie der Flex Conveyor oder das OLPS-Palettenshuttle wären ohne umfassende Vernetzung und Datenerfassung nicht möglich. Natürlich können Vernetzung und die Sammlung von Daten auch auf Verdacht implementiert werden, dann sollte aber schon heute eine technisch sinnvolle Verwendung absehbar sein“, stellt der Geschäftsführer klar.

Integrierte Lösungen aus einer Hand

Die Intralogistikexperten von SSI Schäfer sehen sich bereits seit geraumer Zeit als Teil der vierten industriellen Revolution, unter anderem da die Anlagen des Unternehmens das Internet der Dinge unterstützen. „Das Thema Industrie 4.0 und damit auch die Fördertechnik 4.0 sehen wir als einen ständigen Prozess, der in der Vergangenheit zu Veränderungen geführt hat und dies auch in der Zukunft tun wird. Unsere Produkte entwickeln wir dahingehend ständig weiter“, so Andreas Koch, Head of Product Management bei SSI Schäfer. Ein Grund für das Unternehmen, sich mit dem Thema dauerhaft zu beschäftigen, ist die Möglichkeit, den Kunden auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene, integrierte Lösungen aus einer Hand zu bieten, betont der Experte. Das bezieht sich aber nicht nur auf die Verbesserung vorhandener Produkte, sondern auch auf die Investition in Innovationen auf Basis neuer Lösungsansätze. Eine besondere Rolle kommt hierbei fahrerlosen Transportsystemen zu. „Diese stehen nicht als Produkt oder System für sich alleine, sondern werden als Lösungselement in die Transportsysteme bei SSI Schäfer integriert. Durch die Kombination aus diskretem und kontinuierlichem Transport werden skalierbare, flexible und adaptierbare Lösungen für unsere Kunden entwickelt“, so Koch.

Ein kontinuierlicher Prozess

Genau deshalb sieht er Industrie 4.0 nicht als industrielle Revolution, die von einem auf den anderen Tag alles verändert. Vielmehr sei es ein kontinuierlicher Prozess, der dazu führt, dass durch den Einsatz neuer Technologien Abläufe in Unternehmen transparenter, flexibler, prognostizierbar und am Ende autonomer gestaltet werden können. In Bezug auf das Fördern und Transportieren beziehungsweise den gesamten Materialfluss innerhalb der Intralogistik bedeutet dies, dass logistische Lösungen effizienter und skalierbarer an die aktuellen und sich später verändernden Kundenanforderungen adaptiert werden können.

Die Grundvoraussetzung für diese Entwicklung sind die Vernetzung und die Bereitstellung von Daten. Keineswegs, so Koch, ist damit allerdings das Thema Industrie 4.0 in seiner Gesamtheit beschrieben – in Wirklichkeit ist das erst der Beginn: „Die heutigen Fähigkeiten, Daten in den unterschiedlichsten Prozessen in Echtzeit zu erfassen und in nahezu unendlichen Mengen speichern zu können, ermöglichen es, bestimmte Details überhaupt erst sichtbar zu machen, die früher im Verborgenen blieben. Diese Daten umgehend auszuwerten und damit für einen breiten Personenkreis transparent zu machen, ist der nächste Schritt, um dann zeitnah die notwendigen Schlüsse daraus zu ziehen.“ Das hat dann Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen. Für die Intralogistik bedeutet das demnach, schneller auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können und bestimmte Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Mit dem Logistikcockpit Wamas Lighthouse will das Unternehmen seinen Kunden in diesem Zusammenhang eine zentrale Informationsplattform zur Verfügung stellen, bei der nicht nur die Anlage visualisiert wird, sondern auch der Materialfluss.

Der Markt und die Produkte, da ist sich Koch sicher, haben sich bereits einem Wandel unterzogen, die Entwicklung ist aber noch lange nicht an ihrem Ende. „Das ist auf sich verändernde Anforderungen zurückzuführen, die auch vom demografischen Wandel beeinflusst werden. Immer mehr Unternehmen suchen nach einem Einstieg in das automatische Fördern oder grundsätzlich in die Automatisierung. Nicht um Arbeitskräfte einzusparen, sondern um ihre Mitarbeiter zu entlasten: Es müssen Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die es ihnen ermöglichen, auch im fortgeschrittenen Alter für sie tätig zu sein“, führt Koch aus. Mitwachsende, flexible und mobile Lösungen werden deshalb immer mehr an Bedeutung gewinnen. Die Maschinen und auch die Fördertechnik sollen den Menschen unterstützen und nur in Bereichen ersetzen, die für ihn unter erschwerten Bedingungen abzudecken sind.

Die „Hauptschlagader“ des Systems

Den Experten von Knapp ist es wichtig, zunächst zu klären, was Industrie 4.0 für ihr Unternehmen bedeutet. „Darunter verstehen wir sowohl hochflexible Systeme als auch Systeme, die eine Verbindung aus Mechatronik und Software ermöglichen, was wir unter dem Begriff cyberphysische Systeme zusammenfassen“, führt Victoria Stelzer, Produktmanager bei dem österreichischen Intralogistikexperten, aus. „Beispielsweise liefert die Visualisierungssoftware Kisoft Scada einen vollen Überblick über den technischen Zustand einer Logistikanlage inklusive Fremdgewerke, visualisiert alle Anlagenkomponenten – unter anderem die Fördertechnik Streamline – und informiert über den Betriebszustand.“ So soll die Software volle Transparenz schaffen sowie bei der zeitlich optimierten präventiven Wartung, der Betriebsdatenerfassung und der raschen Störfallbehebung unterstützten. Entwickelt wurde Kisoft Scada bereits vor einigen Jahren, Stelzer zufolge lange bevor man von einer neuen industriellen Revolution gesprochen hat, wodurch sich das Unternehmen in einer guten Position für die aktuellen Entwicklungen sieht.

Web Eye von Knapp vernetzt Techniker weltweit in Bild und Ton.
Web Eye von Knapp vernetzt Techniker weltweit in Bild und Ton.
(Bild: Knapp)

Auch bei Knapp misst man der Bereitstellung von Daten, sowohl bei den internen Prozessen als auch außerhalb des Lagers, besondere Bedeutung zu. Diese Daten sind für die verschiedensten Anwendungen nutzbar, zum Beispiel im Service, wenn Kunden mittels der Service-App E-insight alle wichtigen Informationen über den technischen und logistischen Zustand eines Systems, aktuelle und historische Daten, geplante und durchgeführte Wartungen oder Dokumente immer per Tablet oder Handy einsehen können. „Ein weiteres Beispiel ist das Service-Supportsystem Web Eye, das den Anlagentechniker vor Ort mit Experten rund um den Globus vernetzt. Mittels Kommunikation in Ton und Bild per Bilderkennungstechnologie werden Daten punktgenau dorthin skaliert, wo sie gerade benötigt werden“, so Stelzer.

Bei aller Euphorie für diese neuen Möglichkeiten betont die Produktmanagerin aber, dass Fördertechnik für Strecken mit hohem Durchsatz – als „Hauptschlagader“ des Systems – weiterhin ihre Berechtigung haben wird. Durch die zunehmende Flexibilisierung erwarten sie und ihre Kollegen bei innerbetrieblichen Transporten dennoch eine nachhaltige Veränderung in Richtung autonome intelligente Systeme. Mit dem freifahrenden Open Shuttle wollen sie auf die Nachfrage nach Systemen, die sich besonders für Anwendungen mit langen Fahrstrecken und vergleichsweise niedrigerem Durchsatz eignen, reagieren.

Verbesserung in allen Bereichen

Auch beim Automatisierungsexperten SEW-Eurodrive hat man das Potenzial von Industrie 4.0 in der Fördertechnik bereits vor einiger Zeit erkannt. „Es ist schon heute gut zu sehen, zum Beispiel auf Messen oder in den ersten Anlagen, dass die mobile Fördertechnik die starren Systeme ablösen wird“, ist Johann Soder, Geschäftsführer Technik bei SEW-Eurodrive, überzeugt. „Gerade bei der mobilen Fördertechnik sehen wir unterschiedliche Assistenzsysteme, welche sich autonom organisieren, um Aufträge abzuarbeiten.“ Diese Assistenzsysteme sind dem Fachmann zufolge schon heute in der Lage, entweder als Kleinladungsträger bis 200 kg, oder schwerere Lasten zu befördern. Sein Unternehmen bietet Systeme an, die bis zu 1,5 t bewegen und sich bei noch größeren Lasten als Schwarm organisieren.

In der Schaufensterfabrik von SEW-Eurodrive konnten die Durchlaufzeiten bei Losgröße 1 durch neue Prozesse um über 50 % gesenkt und die Produktivität um mehr als 30 % gesteigert werden.
In der Schaufensterfabrik von SEW-Eurodrive konnten die Durchlaufzeiten bei Losgröße 1 durch neue Prozesse um über 50 % gesenkt und die Produktivität um mehr als 30 % gesteigert werden.
(Bild: SEW-Eurodrive)

Dieser Bereich gehört auch zu jenen, die sich Soder zufolge in der nahen Zukunft am meisten weiterentwickeln werden: „In der intelligenten Organisation von Schwärmen wird sich noch einiges tun und in der Interaktion zwischen Mensch und Technik wird es ebenso noch große Entwicklungsschritte geben. Ein wichtiger Vorteil, den wir bei unseren Assistenzsystemen sehen, ist die kontaktlose Energieübertragung. Sie ermöglicht in der Fabrikplanung völlig neue Freiheitsgrade.“ Wie sich die Zukunft der Fördertechnik gestalten könnte und welche Vorteile Industrie 4.0 hier bietet, zeigt SEW schon heute in der Schaufensterfabrik in Graben-Neudorf. Die Fabrik ist bereits seit über drei Jahren in Betrieb. In dieser Zeit konnten die Durchlaufzeiten durch neue Prozesse um über 50 % gesenkt und die Produktivität um mehr als 30 % gesteigert werden – und das alles bei Losgröße 1.

Der Mensch behält seine Berechtigung

Der Trend zu mehr Autonomie ist natürlich auch etablierten „Staplerbauern“ wie Jungheinrich nicht entgangen. Insbesondere wiederkehrende innerbetriebliche Transportaufgaben, die Zeit kosten und Mitarbeiter binden, eignen sich dem Unternehmen zufolge für Automatisierungen. Doch selbst die Intralogistik 4.0 kommt nicht ohne den Menschen aus. Auch in Zukunft wird es Einsatzfelder geben, auf denen das besondere Geschick eines menschlichen Staplerfahrers benötigt wird. Dieser wird aber in seiner täglichen Arbeit von einer Vielzahl digitaler Lösungen und Assistenzsysteme unterstützt werden.

Der Trend zu mehr Autonomie ist natürlich auch etablierten „Staplerbauern“ wie Jungheinrich nicht entgangen.
Der Trend zu mehr Autonomie ist natürlich auch etablierten „Staplerbauern“ wie Jungheinrich nicht entgangen.
(Bild: Jungheinrich)

Jungheinrich bezieht sich dabei beispielsweise auf Staplerassistenzsysteme wie die eigene Warehouse Navigation. Hier sendet das Jungheinrich-Logistik-Interface einen Transportauftrag an die Fahrzeugsteuerung. Um die Ware ein- und auszulagern, muss der Fahrer nur noch Gas geben, der Stapler kennt den richtigen Weg. Die Drive Navigation erlaubt optimierte Pick-Prozesse durch Vernetzung von Fahrzeug und Fernbedienung. Durch den Einsatz dieser digitalen Helfer entfallen Such- und Korrekturfahrten, wodurch Zeit eingespart und die Effizienz gesteigert werden kann. Auch Regalbeschädigungen sowie Ein- und Auslagerungen auf falscher Höhe können dank der Systeme vermieden werden und Ortungssysteme lokalisieren Flurförderzeuge im gesamten Lager, was ein besseres Management der Flotte erlaubt.

Im Endeffekt geht es dem Unternehmen zufolge bei der Intralogistik 4.0 um Kommunikation. Mensch, Flurförderzeug und Lager kommunizieren und kooperieren und komplettieren sich zu ganzheitlichen Lösungen. Dabei zeichnen sich alle Arten von Flurförderzeugen durch einen bestimmten Vorteil aus: Moderne Flurförderzeuge – egal ob manuell oder automatisiert – bieten hohe Flexibilität. Sie sind autark und doch voll vernetzt. An Änderungen im Unternehmen, zum Beispiel den Umzug von Maschinen, die Veränderung des Lagerlayouts oder Effizienzsteigerungen im Materialfluss, lassen sie sich ohne hohen Aufwand anpassen, Transportprozesse kann man so optimieren.

„Um die Vorteile einer allgegenwärtigen Vernetzung wirklich zu nutzen, muss ein durchgängiger Informationsfluss in den Wertschöpfungsketten gewährleistet werden“, macht Dr. Ralf Garlichs, Vorstandsmitglied und Head of Products & Technology bei Interroll, deutlich. „Dazu gehört beispielsweise auch, dass Geschäftsprozesse digital abgebildet werden können, zum Beispiel über SAP. Für uns als Hersteller von Plattformlösungen, die den Materialfluss zwischen Wareneingang und -ausgang ermöglichen, bedeutet dies zunächst, dass wir Systemintegratoren die nötigen Schnittstellen für die Weitergabe der Daten von Sensoren oder von Steuerungen an übergeordnete Verarbeitungssysteme bereitstellen müssen. Daran arbeiten wir und haben heute erste Plug-and-play-Anschlusslösungen verfügbar.“ Als Beispiel hierfür nennt er die Multicontrol-Steuerung seines Unternehmens, eine zertifizierte Netzwerkkarte für Profinet, Ethernet/IP und Ethercat zur Steuerung der Rollerdrive EC310. Durch Multicontrol wird es möglich, zwischen den verschiedenen Feldbussen umzuschalten und Sensoren und Rollerdrive unmittelbar in die Feldbusebene zu integrieren.

Durch Multicontrol wird es möglich, zwischen den verschiedenen Feldbussen umzuschalten und Sensoren und Rollerdrive unmittelbar in die Feldbusebene zu integrieren.
Durch Multicontrol wird es möglich, zwischen den verschiedenen Feldbussen umzuschalten und Sensoren und Rollerdrive unmittelbar in die Feldbusebene zu integrieren.
(Bild: Interroll)

Garlichs ist sich mit vielen Experten in diesem Artikel einig, dass die Industrie 4.0 im Bereich Fördertechnik keine Disruption darstellt, sondern eher als beschleunigende technische Evolution zu sehen ist: „Industrie 4.0 wächst quasi als Schnittstelle zwischen Logik und Mechanik. Unseren erfolgreichen Weg der Modularität und Qualität über die gesamte Produktpalette hinweg gehen wir ja schon länger.“ Deshalb sei das „Intelligentmachen“ der Produkte eine logische Evolution der eigenen Firmenphilosophie. Um diesen Weg erfolgreich weiter zu gehen, wurde Interrolls Forschungsbudget für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 nochmals deutlich aufgestockt – ein Großteil davon soll für konkrete Projekte im Bereich Fördertechnik 4.0 verwendet werden.

Mehr Nachhaltigkeit und Effizienz

Mittel- bis langfristig erwarten die Schweizer Experten grundlegende Veränderungen, die die dynamische Entwicklung der Produktionslogistik weiter vorantreiben – neben verbesserten auch ganz neue Lösungen. „Service und Beratung der Endkunden werden eine größere Rolle spielen. Allerdings werden verbesserte Effizienz und Nachhaltigkeit weiter die zentralen Anforderungen für die Anwender bleiben“, so Garlichs. Hinzu kommt auf der Seite der Konsumenten der Wunsch nach höherem Komfort, immer kürzeren Lieferzeiten und nach einer größtmöglichen Individualisierung.

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