Automobilland Kanada In Ontario ist Ingenieurmangel ein Fremdwort
Seit Jahren fördert die kanadische Provinz Ontario aufstrebende Hightech-Unternehmen. Doch das ist nur die eine Seite. Die andere ist die Nachwuchsförderung: Gut ausgebildete Ingenieure sind das Pfund, mit dem gewuchert wird. Ontario hat heute in der OECD die höchste Anzahl an Ingenieuren pro Kopf der Bevölkerung.
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Greg Naterer lächelt bubenhaft, wenn er komplizierte Maschinen erklärt. Der promovierte Ingenieur ist Forschungsdirektor an der Fakultät für Ingenieurwesen und angewandte Wissenschaften an Kanadas jüngster Universität in Oshawa. Naterer führt Besucher durch das Automotive Centre of Excellence: einen gewaltigen Maschinenraum, der von acht Robotern dominiert wird. Wie von unsichtbarer Hand geführt schweißen sie millimetergenau Autobleche und hieven Achsen auf ein Fließband. An den Tastaturen, wo die Roboter programmiert werden, sitzen Studenten. Sie nehmen an Kanadas einzigem Studiengang für Autoingenieure teil.
„Wir müssen das entwickeln, was die Industrie braucht“, bringt Naterer seine Vision auf den Punkt. Das University of Ontario Institute of Technology (UOIT), an dem er lehrt, ist die erste Hochschule, die Kanadas industriestärkste Provinz Ontario seit 40 Jahren gegründet hat. Das war 2003. Vor wenigen Tagen verabschiedete die UOIT ihren ersten Jahrgang. Insgesamt 658 Studenten bekamen Zeugnisse. Die Abschlussfeier fand im General Motors Centre von Oshawa statt.
Und das war kein Zufall. Denn in Oshawa, im Süden Ontarios, knappe zwei Autostunden von Detroit entfernt, betreibt General Motors zwei Fabriken. Der Branchenberater Harbour Consulting in Michigan hat die beiden Produktionsstätten Anfang Juni als die effizientesten in Nordamerika gekrönt. Im Werk II dauert der Bau eines Pkw im Schnitt 15,68 Stunden, 12% weniger als im besten US-Werk von Ford in Kansas City.
In den USA wird abgebaut, in Kanada investiert
Während General Motors auf dem Heimatmarkt die Kapazitäten drastisch reduziert und im ersten Quartal gegen Toyota die Position als Weltmarktführer verlor, modernisiert es in Kanada im Rahmen des „Beacon“-Projektes für 3 Mrd. US-Dollar seine Fertigungsanlagen. Es ist die größte Autoinvestition, die Kanada je bekommen hat. Oshawa ist damit zum strategischen Frontabschnitt im Titanenkampf zwischen GM und Toyota geworden, auch wenn dort ebenfalls die Produktion gedrosselt wird.
Ontario hat 2004 Detroit als größter Standort der Pkw-Produktion in Nordamerika überholt. Über 2,5 Mio. Autos haben sechs führende Konzerne – darunter Daimler-Chrysler, Toyota und GM – im vergangenen Jahr in 12 Fabriken in Ontario gefertigt – „270 000 mehr als die US-Autometropole Detroit“, sagt Babi Banerjee, Autostratege im Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel in Toronto. Ontario versucht, die Krise in Detroit für einen Ausbau seines Vorsprungs zu nutzen und auch bei Design und F&E an Detroit vorbeizuziehen.
Kanada plant einen neuen Fonds für mehrere hundert Millionen kanadische Dollar zur Entwicklung abgasarmer Autos. 38 Hochschulen in Ontario sind in das Großprojekt „Auto21“ eingespannt. Das Ziel: leichtere Materialien, weniger Spritverbrauch, neue Antriebssysteme. Im Zentrum dieses Universitäts-Netzwerks steht die Hochschule von Waterloo, an der Microsoft-Gründer Bill Gates nach eigener Aussage mehr Nachwuchs rekrutiert als an irgendeiner anderen Universität.
Aufstrebende Unternehmen erhalten Förderung
Zahlreiche aufstrebende Firmen werden einzeln gefördert. Magna-Gründer Frank Stronach bekommt von der Provinz umgerechnet 32 Mio. Euro, um im Herbst am Stammsitz des Unternehmens in Aurora ein Innovationszentrum zu eröffnen, wo Ingenieure ausgebildet werden. Ein Netzwerk aus acht lokalen Universitäten erhält 3,5 Mio. Euro, um Brennstoffzellen zu entwickeln.
Ein weiteres Beispiel ist der Hebebühnen-Hersteller Skyjack in Guelph, eine Tochter des Autozulieferers Linamar. Weil Linamar weniger von der Autobranche abhängig sein will, diversifizieren Töchter wie Skyjack in andere Segmente wie Nutzfahrzeuge und Baumaschinen. Skyjack investiert 17 Mio. Euro in ein Entwicklungszentrum und bekommt als Hilfe im Rahmen der 2005 aufgelegten „Advanced Manufacturing Investment Strategy“ von der Provinz ein zinsloses Darlehen von umgerechnet 1,7 Mio. Euro. Ontarios Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung und Handel, Sandra Pupatello, hat im Zusammenhang mit der Initiative hohe Ziele gesteckt. Sie will, dass sich „Ontario zum Zentrum für Innovationen und modernste Fertigungstechnologien in Nordamerika entwickelt“.
Ontario startete im April 2004 für umgerechnet 323 Mio. Euro die „Automotive Investment Strategy“, ein Programm, das Investitionen von Herstellern und Lieferanten mit dem Bau der nötigen Infrastruktur flankiert. Bei leicht höherer Produktivität als in den USA, einer günstigen staatlichen Krankenversicherung und der höchsten Zahl an Ingenieuren pro Kopf der Bevölkerung in der OECD erweist sich die Provinz als Magnet.
Ontario hat seit 2004 Zusagen für 4,5 Mrd. Euro bekommen. Darunter 400 Mio. Euro von Daimler-Chrysler für die Modernisierung des Werkes in Brampton. Detroit hinterlässt bis nach Ontario Schleifspuren. Die 450 Autolieferanten der Provinz exportieren 70% ihrer Produktion von 21 Mrd. Euro im Jahr in die USA. In diesem Jahrzehnt haben sie 6000 Jobs gestrichen. Die US-Hersteller haben auf heimischem Boden zuletzt weiter Marktanteile verloren. GM, Ford und Chrysler streichen im Rahmen ihrer laufenden Fitnesskur 80 000 Stellen und schließen 24 Fabriken.
Misere von Detroit als Chance nutzen
Lieferanten in Ontario reagieren auf die Misere mit unterschiedlichen Strategien. Bei ZF Lenksysteme in St. Thomas, einem Joint Venture zwischen Robert Bosch und ZF, werden 70% des Umsatzes mit Ford und GM erzielt, sagt der Präsident, Bernhard Freiermuth. Sein Rezept: „Mehr Produktion für größere Lkw“. Dafür wird mehr in F&E investiert. Erfolgreich gegen den Strom schwimmt die kanadische Linamar, die Antriebstechnik herstellt. Der Zulieferer setzte 2006 umgerechnet 1,5 Mrd. Euro um, ein Plus von 4,7% auf einem schrumpfenden Markt. „Wir investieren 750 Mio. Euro in die Evolution vom Teile- hin zum Komponentenhersteller“, erläutert Linamar-Präsident Jim Jarrell die Strategie des Unternehmens.
Markus Gärtner ist Fachjournalist in Vancouver.
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