Internationaler Rohbau-Expertenkreis Moderner Karosseriebau erfordert neue Fertigungs- und Automatisierungslösungen
Bach wie vor ist Stahl im Karosseriebau der klassische Werkstoff, der mit Hilfe diverse Fertigungsverfahren in Höchstform gebracht wird. Abgesehen von den großflächigen Blechteilen sind es in der Vielzahl kleine Karosserieteile die letztendlich zu einem Ganzen zusammengefügt werden müssen. Damit dies schnell und reibungslos erfolgen kann, sind eine passgenaue Fertigung und Automatisierung erforderlich. Diese waren Schwerpunktthemen der 2. Fachtagungsreihe: „Karosserie Produktions-Systeme“ innerhalb der 36. Fachtagung „Prozesskette Karosserie“ in Fellbach.
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Wenn Berthold Fröhlich, ehemaliger Leiter Karosseriebau bei der Daimler-Chrysler AG in Sindelfingen und Präsident des Internationalen Rohbau-Expertenkreises, zu einer der zahlreichen Veranstaltungen lädt, dann sind die Karosseriebauer in Scharen seine Gäste. Sie kennen die Qualität der Veranstaltung und auch der Organisation und sie wissen, dass sich über drei Tage interessante Diskussionen und Eindrücke ergeben. Die November-Veranstaltung in der Fellbacher Schwabenlandhalle hatte den Prozess, das Produkt und die strukturelle Produktion im Fokus.
In erster Linie wir die Produktion von Karosserien und Karosserieteilen von den Fertigungstechniken bestimmt. Dies machte denn auch der Vortrag von Heinrich Weber, Verkaufleiter bei der Dreistern GmbH & Co. KG deutlich, der über das Rollprofilieren im Presswerk als ein komplementäres Verfahren im Karossierbau berichtete. Demnach gilt die Integration von Pressen und Rollprofiliermaschinen in anderen Industriebereichen bereits als fest etabliert.
Im Bereich der Automobilproduktion jedoch, hat der Einsatz von Rollprofiliermaschinen für Strukturbauteile erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Eingesetzt wird dieses Umformverfahren vor allem für rollgeformte Fensterschachtverstärkungen, Schweller, Längsträger, Stoßfänger und Dachrahmen. Laut Weber lassen sich vor allem hoch- und höchstfeste Werkstoffe besonders gut in Rollprofilieranlagen verarbeiten.
„Rollprofilieren“, so Weber, „erfüllt eigentlich alle Anforderungen die an Strukturbauteile gestellt werden. Die Ausnahme ist die mangelnde Fähigkeit variable Querschnitte zu erzeugen.“ Dennoch macht der Spezialist die Erfahrung, dass aufgrund der hohen Wirtschaftlichkeit ein großer Anreiz für dieses Verfahren besteht.
Rollfalztechnik - ein gängiges Montageverfahren im Karosseriebau
Rollen standen auch im Mittelpunkt von Ewald Quell, Chief Process Officer beim Automobildienstleister Edag. Er stellte die Rollfalztechnik als mittlerweile gängiges Montageverfahren im Karosseriebau vor. „Noch vor wenigen Jahren“, sagt Quell, „mussten wir harte Überzeugungsarbeit für diese Technik leisten. Nach etwa fünf Jahren lief es plötzlich wie geschmiert.“ Quell konstatiert, dass alle Parameter wie beispielsweise die Flexibilität, die Produktqualität, der Aufwand und sogar Invest und Instandhaltung eindeutige Vorteile im Vergleich zur Falzpresse oder Tabletop-Vorrichtung aufweisen.
Fairerweise nannte er mit den langen Prozess- und Taktzeiten auch einen erheblichen Nachteil. Dieser würde sich aber nicht sonderlich bemerkbar machen, wenn die Hersteller sich auf eine gewisse Bauteilgruppe konzentrierten. Es gibt demnach erhebliche Anwendungen wo die Falzpresse geschlagen werden könnte. Dennoch könnnen die Edag-Entwickler mit der High Speed-Rollfalztechnik, dem so genannten Twinstep-Rollfalzkopf dagegenhalten. „Es ist aber nicht allein der Falzkopf der die Taktzeit bestimmt, sondern vielmehr die intelligente Kombination einer gesamten Anlage die hier wirksam wird“, sagt Quell.
Mit Best-fit Bauteile sensorgeführt montieren
Zusammenwirken, das ist auch entscheidend bei der Best-Fit-Mess- und Montagetechnik, die ebenfalls von Edag in Gemeinsamkeit mit der Adam Opel AG entwickelt wurde. Edag Best-Fit ist eine Technik zum automatischen, sensorgeführten Montieren von Fahrzeugbauteilen, bei der das zu fügende Bauteil in der jeweils optimalen Position relativ zur Karosserie angebracht wird.
Beide Bauteile werden zeitgleich vermessen. Mit dem Best-Fit Berechnungsalgorithmus wird die ideale Einbauposition ermittelt. Weiterhin wird die Vorhalteposition aus den Qualitätsdaten der Vorläuferfahrzeuge errechnet. Nach der Montage werden die Anbauteile im entspannten Zustand mit den gleichen Messsensoren überprüft. Diese Daten werden in einer Qualitätsbewertung überprüft und dokumentiert und fliesen dann wieder in die Qualitätsregelschleife für die nächsten Fahrzeuge ein.
Kein Nachteachen mehr bei alternden Robotern
In der Praxis wurde die erste Best-Fit-Anlage bei der Daimler-Chrysler AG in der Serien-Montage von Türen, Kotflügel, Motorhaube und Heckdeckel für die S-Klasse in Betrieb genommen. Entscheidend dafür, dass dies möglich war ist unter anderem der ebenfalls von Edag entwickelte Sensor Vario-Gauge V4, der zwei zu montierende Bauteile zusammen in einem Sensorbild (Karosse und Tür, Dach oder Scheibe) darstellt. Seine besonderen Eigenschaften sind vor allem die Messung von Spalt und Bündigkeit bei jedem Bauteil, die Wiederholgenauigkeit unter Berücksichtigung der Toleranzen eines jeden Bauteils, der Ausschluss von Umwelteinflüssen wie Temperatur, Vibrationen, kein Nachteachen bei älter werdenden Robotern.
Fügen als selbstlernendes System
Mit dem Einsatz von Edag-Best-Fit werden grundsätzlich die individuellen Toleranzen beider Fügepartner ermittelt und unter Berücksichtigung vorgegebener Gewichtungen kompensiert. Zur Bestimmung der optimalen Bauteilposition verwendet der Best-Fit-Algorithmus ein überbestimmtes System von Messpunkten rund um das Bauteil. Die Qualitätsdaten werden in einer Datenbank gespeichert und vom Best-Fit-Algorithmus für die Statistik und automatische Anpassungen verwendet, was letztendlich zu einem selbstlernenden System führt.
Hörenswert waren auch die Vorträge der Vertreter von Automobilherstellern wie BMW und Audi, die jeweils ein Gesamtbild der Anforderungen an einen OEM zeichneten und von diesen aus die Problemlösungen in Richtung Produktion und der damit verbundenen Steuerung und Automatisierung formulierten. In Ergänzung dazu präsentierte Philipp Hoppe von der Festo AG & Co. KG das Angebot für Lösungen der Steuerungstechnik mit mechatronischen Komponenten.?
Neue Möglichkeiten für Automobilentwickler
Rollfalzen ist ein innovatives Fügeverfahren, das vor allem für die Fertigung von Anbauteilen wie Fahrzeugtüren, Heckklappen und Motorhauben zum Einsatz kommt. Weitere Anwendungsgebiete sind Öffnungen von Schiebedächern, aber auch Falzungen an Radhäusern.
Generell wird beim Falzen beziehungsweise Bördeln der Rand eines äußeren Bleches um ein Innenblech gebogen. Traditionell werden Pressen mit komplizierten Stempelgeometrien eingesetzt. Beim Rollfalzen sind die Bleche in einem Werkzeugbett gespannt. An einem Industrieroboter ist ein Rollfalzkopf befestigt, an dem Rollen gelagert sind, die für verschiedene Bearbeitungsschritte des Umfalzens vorgesehen sind.
Edag-Rollfalz-Systeme ermöglichen eine kostengünstige Alternative zu konventionellen Pressen. Rollfalzzellen haben geringere Investitions- und Instandhaltungskosten. Ein weiterer wesentlicher Vorteil liegt in der kurzen Entwicklungs- und Inbetriebnahmezeit. Dies begründet sich darin, dass Edag ein ausgereiftes Spektrum an Standardanwendungen besitzt.
Durch Edag-Rollfalz-Systeme ergeben sich neue Möglichkeiten für Automobilentwickler, wie beispielsweise das Falzen von Radhäusern an fertigen Karossen. So sind durch geringe Prozesskräfte bessere Oberflächenqualitäten an komplexen Blechgeometrien möglich. Die Maßhaltigkeit und Toleranzen sind steuerbar, da das Roboterprogramm punktuell beeinflusst werden kann.
Zudem sind die Rollfalz-Systeme äußerst flexibel. Verschiedene Typen können in einer Fertigungszelle produziert werden. Der Falzroboter kann auch weitere Aufgaben in der Fertigungszelle übernehmen. Außerdem können Rollfalzzellen problemlos verlagert werden, zum Beispiel bei Auslagerung zur Ersatzteilfertigung.
Durch die konsequente Weiterentwicklung der bestehenden Anwendungen werden auch in Zukunft neue Anwendungsgebiete erschlossen. Zur Zeit wird unter anderem ein High-Output-Prozess (EDHO) entwickelt, der Taktzeiten unter 30 s pro Karosserieteil möglich machen soll.
Kombination von Rohrbiegen und Lasern: Leichtbau maßgeschneidert realisiert
Die Automobilindustrie zeigte vor kurzem auf der IAA, wie sie den Spritverbrauch senkt. Dazu zählt beispielsweise ein neues Cockpit, das um 20% leichter ist als bisherige Instrumententafeln. Dies verdankt sie auch so genannten T3-Profilen, die Thyssen-Krupp-Steel gemeinsam mit Partnern entwickelt hat. Sie entstehen einer Kombination von Rohreinbiegeanlage und Werkzeugmaschine. Dieser Spagat zwischen Rohrbiegen und Lasern gibt einen Vorgeschmack darauf, welche neuen Einblicke ein Besuch der zu einem gemeinsamen Termin stattfindenden Metav 2008 in Düsseldorf mit den internationalen Fachmessen wire und Tube bietet.
„Es handelt sich um eine, von uns intern so genannte Einrollpresse, die offiziell T3-Profilieranlage heißt“, erklärt Dr. Dipl.-Ing. Thomas Flehmig, Leiter Neue Verarbeitungstechnologien bei der TKS AG, Duisburg. Der Neuling verfügt im Gegensatz zu herkömmlichen Pressen über eine erweiterte Funktionalität: Die T3-Profilieranlage arbeitet nicht nur senkrecht, sondern ist durch einen Ausleger ergänzt, der ein Hohlprofil auch um 90° dazu versetzt presst. Außerdem besitzt die Anlage eine bewegliche Arbeitsplatte, die parallel zur Hauptarbeitsrichtung fahren kann.
Der Unterschied zu einer Transferpressenanlage: Die T3-Technologie integriert alle typischen Arbeitsgänge in einer Maschine. Die Transportwege zwischen den Pressen fallen weg, oder sie verkürzen sich enorm. Das Bauteil wird außerdem quasi in einer Aufspannung bearbeitet. Die Anlage besitzt insgesamt vier servohydraulisch angetriebene Hauptachsen, die mit einer Gewichtskraft von maximal 1600 t – entsprechend 16000 KN – auf das Bauteil einwirken können.
Das T3-Profilieren kommt in erster Linie zum endkonturennahen Herstellen von geschlossenen Hohlprofilen aus Blechplatinen in Frage. Per Laser lässt sich das Bauteil nach dem Einformen in der Anlage zuschweißen. Es können aber auch schalenförmige Bauteile entstehen. Die Experten verarbeiten grundsätzlich Stähle von TKS – vom weichen bis zum höchstfesten Material.
Die T3-Anlage ist für Prototypen konzipiert und universal ausgelegt. „Dadurch fallen die Taktzeiten gegenüber einer Serienmaschine zwar etwas länger aus, sie liefert jedoch Aussagen zur Machbarkeit der Teilegruppe und zum Konzept einer Serienanlage mit dem jeweilig notwendigen Ausstattungsminimum“, meint Dr. Flehmig.
Die Duisburger arbeiten eng zusammen mit Automobilherstellern und -zulieferern, für die zum Experimentieren verschiedene Demonstratoren entstehen. Zu den Einsatzstellen im Automobil zählen Längsträger, A-Säulen, Crashboxen und Querträger. Thyssen-Krupp-Steel will sich außerdem weitere Einsatzfelder im Chassis und Fahrwerkbereich erschließen.
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