Kurier-, Express-, Paketdienste Wenn der Kep‘ler wertvolle Pharmapakete vertauscht

Von Eckhard Boecker Lesedauer: 4 min

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Ein Paketdienstleister musste am Ende des Tages für das Vertauschen von zwei Paketen uneingeschränkt haften. Das zuständige Gericht lieferte dazu eine ausführliche Begründung ...

Gerade im Bereich der Pharmalogistik ist es stets günstiger, Schadensfällen vorzubeugen, als sie teuer zu regulieren. Sicherheitsmaßnahmen sind hier das A und O.
Gerade im Bereich der Pharmalogistik ist es stets günstiger, Schadensfällen vorzubeugen, als sie teuer zu regulieren. Sicherheitsmaßnahmen sind hier das A und O.
(Bild: Tamani Chithambo/peopleimages.com – stock.adobe.com)

Ein Pharmariese beauftragte einen seiner langjährigen Paketdienstleister, zwei Pakete mit insgesamt vier Kilogramm Gewicht, in denen sich Arzneiprodukte befanden, zu den rechtmäßigen Empfängern zu befördern. Der Wert beider Pakete betrug insgesamt 178.169,81 Euro. Der Fahrer bestätigte den Empfang der Kolli auf dem Übernahmepapier. Ein Paket wurde zum Empfänger nach Leverkusen transportiert. Allerdings wurde das andere Paket, so die Reklamation des Kunden, nicht beim rechtmäßigen Empfänger angeliefert. Es stellte sich in weiterer Folge heraus, dass das zweite Paket dem rechtmäßigen Empfänger nicht zugestellt wurde. Vermutlich sei es am Umschlagplatz in Dortmund zu einer Verwechslung von Paketen gekommen, weil der Fahrer des Kep‘lers die Versandaufkleber vertauschte, so ein Mitarbeiter des Kep‘lers. Dies mit der Folge, dass das vermisste Paket in Ludwigshafen angeliefert worden sei.

Die Mitarbeiter des Kep‘lers bemühten sich, das fälschlicherweise in Ludwigshafen angelieferte Paket wieder abzuholen, jedoch letztlich erfolglos. (Anmerkungen des Verfassers: Der Grund für die erfolglose Abholung ist unbekannt.) Der Kunde hielt den Kep‘ler am 10. September 2018 schriftlich haftbar. Am 2. Mai 2019 erhielt der Kep‘ler Post vom Anwalt des Warentransportversicherers des geschädigten Kunden. Der Rechtsanwalt forderte den Kep‘ler auf, den Schaden in Höhe von 111.743,57 Euro auszugleichen. Die gesetzte Zahlungsfrist verstrich ohne Erfolg. Der Pharmakunde trat seine Ansprüche, die er gegenüber dem Kep‘ler erworben hatte, an seinen Transportversicherer ab. Der erhob Klage beim Landgericht (LG) Münster.

Die Urteile

Das LG verurteilte den Kep‘ler, Schadensersatz zu leisten, und zwar in voller Höhe. Gegen diese Entscheidung legte der Paketdienstleister Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) in Hamm ein, dies ohne den erhofften Erfolg. Denn das OLG vertrat am 6. Oktober 2022 ebenfalls die Auffassung, dass der Kep‘ler uneingeschränkt hafte. Das Gericht sei außerdem davon überzeugt, dass dem Kunden, anders als vom Kep‘ler behauptet worden sei, auch kein Mitverschulden am Schadensfall treffe (AZ: I-18 U 166/20).

Der Tenor

Das LG, so das OLG, habe rechtmäßig entschieden, dass der Kep‘ler auf der Grundlage des § 435 Handelsgesetzbuch (HGB) hafte. Beide Pakete gelangten in die Obhut des Kep‘lers, jedoch habe sein Fahrer letztlich nur eines beim richtigen Empfänger zugestellt. Der Schadensfall sei vom Kep‘ler qualifiziert verschuldet worden, weil das Gericht von „einer mangelhaften Organisation des Betriebsablaufs“ beim Kepler ausgehe. Der Betriebsablauf beim Kep‘ler habe für keinen ausreichenden Schutz gesorgt, um einen Verlust zu verhindern. Damit habe er „in krasser Weise“ die „Sicherheitsinteressen“ des Kep-Kunden ignoriert. Nach Überzeugung des Gerichts sei der Umschlag von Gütern „besonders“ anfällig für Paketverluste. Deshalb müssten die Betriebsabläufe so organisiert werden, dass die Schnittstellen, das heißt beim Warenein- und -ausgang, kontrolliert würden. Letztlich begründeten mangelhafte Schnittstellenkontrollen beim Kep‘ler den Vorwurf eines „qualifizierten Schadensverschuldens“, so das OLG im weiteren Tenor.

Sogar das Vertauschen von Pharmaprodukten während ihrer Distribution kann eine unbeschränkte Haftung auslösen.
Sogar das Vertauschen von Pharmaprodukten während ihrer Distribution kann eine unbeschränkte Haftung auslösen.
(Bild: Seventyfour – stock.adobe.com)

Der Kep‘ler könne sich nicht erfolgreich auf die Haftungsbeschränkung gemäß seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) berufen, die eine Höchsthaftung von fünf Euro je Kilogramm vorgesehen haben. Er könne sich auch nicht auf die beschränkte Haftung in Höhe von 8,33 Sonderziehungsrechten je Kilogramm nach § 431 Absatz 1 HGB stützen. Im Zuge von Zeugenvernehmungen zeigte sich das OLG davon überzeugt, dass die Mitarbeiter des Pharmakunden die Pakete ordnungsgemäß adressiert hätten. Eine falsche Etikettierung etc. sei auszuschließen. Darüber hinaus habe sich das OLG durch Zeugenvernehmung davon überzeugen können, dass eine fehlerhafte Versandabfertigung auszuschließen sei. Mit Bezug auf wertvolle Paketsendungen greife beim Kunden das sogenannte „Sechsaugenprinzip“, so der Kunde. Dieses Prinzip bedeute, dass ein Mitarbeiter die Pakete packe, ein zweiter den Vorgang kontrolliere sowie eine dritte Person eine weitere „Prüfung“ vornehme. Im Ergebnis stehe für das OLG fest, dass die Pakete mit den korrekten „Versandinformationen“ unter Berücksichtigung der richtigen Empfänger versehen worden seien.

Top 6
  • Dieser Fall bestätigt ein weiteres Mal, dass es stets günstiger ist, Schadensfällen vorzubeugen, als sie zu regulieren. Warum der Kep‘ler für hochwertige Paketsendungen keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hat, ist unbekannt.
  • Dieser Fall zeigt darüber hinaus, dass selbst ein Vertauschen, das letztlich in einem Totalverlust endete, eine unbeschränkte Haftung auslösen kann, wenn der Kep‘ler zum Geschehensablauf keinen substanziierten Sachvortrag liefert.
  • Natürlich sollte der Kep‘ler das Vertauschen von Labeln (auch Cross-Labelling genannt) vollständig ausschließen. Dabei ist ihm zu empfehlen, einen Kontrollprozess zu implementieren, der Derartiges verhindern kann.
  • Wenn der Kep‘ler bestimmte Güter nicht befördern will, so sollte er sie explizit in seinen ABG ausschließen.
  • Dem Kunden aus Industrie, Handel und Logistik ist stets zu empfehlen, dem Kep‘ler einen hohen Warenwert vor Auftragserteilung schriftlich mitzuteilen, um sich nach Schadenseintritt nicht einem etwaigen Mitverschuldenseinwand ausgesetzt zu sehen.
  • Dieser Rechtsstreit ist rechtskräftig, denn der Kep‘ler zog seine Nichtzulassungsbeschwerde, die er beim Bundesgerichtshof eingelegt hatte, wieder zurück (AZ: IZR 172/22).

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Darüber hinaus meinte das OLG, dass den Empfänger kein Mitverschulden am Eintritt des hohen Sachschadens treffe, weil er keine Wertdeklaration gegenüber dem Kep‘ler bei Auftragserteilung vorgenommen habe. Diesbezüglich vertrat der Kläger die Auffassung, dass der Kep‘ler selbst bei Wertangabe keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Pakete getroffen habe, um einen Verlust zu vermeiden. Der Kep‘ler habe die Pakete in jedem Fall zum Transport angenommen. Dieser Sachvortrag sei vom Kep‘ler nicht substanziiert bestritten worden, so das OLG. Er habe nicht einmal dargelegt, welche Sicherheitsmaßnamen ergriffen worden wären, wenn der Arzneikunde eine Wertangabe vor oder bei Auftragserteilung vorgenommen hätte. (bm)

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