Kommentar Zukunftsmusik Industrie 4.0: Deutschland hat versagt

Ein Gastkommentar von Andreas Funkenhauser* Lesedauer: 5 min

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Industrie 4.0 gilt als die Lösung für nahezu alle Probleme der Logistikbranche. Es stimmt, Prozesse werden durch Automatisierung und Digitalisierung viel effizienter. Doch realistisch gesprochen stecken viele Unternehmen in Deutschland noch mitten in der Industrie 2.0.

Deutschland hat auf dem Weg zur Industrie 4.0 großen Nachholbedarf.
Deutschland hat auf dem Weg zur Industrie 4.0 großen Nachholbedarf.
(Bild: frei lizenziert / Pixabay)

Vor circa 80 Jahren hat sich Deutschland mit der Produktion von klassischen Industriegütern wie Maschinen und Fahrzeugen einen Namen als großer Industriestandort gemacht. Das produzierende Gewerbe hat dabei eine besonders relevante Rolle gespielt: Deutschland konnte Schwellen- und Transformationsländern das bieten, was sie für die Weiterentwicklung benötigt haben. Das Fragmentieren von Arbeitsschritten und die Entstehung neuer Technologien im Zuge der Industrie 2.0 und der zunehmenden Globalisierung gaben der Wirtschaft einen ordentlichen Schub. Nicht nur Großkonzerne, auch viele kleine- und mittelständische Unternehmen fingen an, internationale Märkte zu beliefern.

Doch deutsche Firmen machen das Rennen schon lange nicht mehr: 2023 belegt Deutschland nur noch Platz 18 von 21 in einem Ranking des Forschungsinstituts ZEW und ist damit als Industriestandort nicht länger Vorreiter. Obwohl sich Deutschland lange Zeit stark und schnell als Industriestandort etabliert hat, wurde die sukzessive Weiterentwicklung verschlafen. 2011, mit dem Start von Industrie 4.0, hat sich Deutschland durch die fehlende Digitalisierung und den mangelnden Einsatz neuer Technologien ins Aus gekickt. Zu lange lag der Schwerpunkt ausschließlich auf der Optimierung der Produktion und der Senkung der Produktionskosten.

Wer aufholen will, muss sofort digitalisieren

Länder, die von Beginn an die vierte industrielle Revolution umgesetzt haben, wurden durch digitale Lösungen schneller, effizienter, günstiger und somit für Kunden attraktiver. Dabei könnte das, was deutschen Unternehmen aktuell fehlt, um weiter wettbewerbsfähig zu bleiben, direkt umgesetzt werden. Denn die Lösungen sind seit der Einführung von Industrie 4.0 flexibler und schneller einsetzbar. Repetitive Aufgaben lassen sich mittlerweile ganz einfach automatisieren und das Vernetzen von Systemen macht die Kommunikation und das Pflegen von Beständen unkompliziert.

Die Vision von Industrie 4.0 geht sogar noch einen Schritt weiter: eine vollständige Digitalisierung, beginnend bei Produktion und Logistik bis zum Kunden, der von zu Hause aus auf das Werk des Unternehmens zugreifen kann. Alle Bereiche arbeiten dann selbstständig und automatisch zusammen – von Herstellung bis Transport. Produkte können vom Kunden ganz individuell erstellt werden. An dem Punkt ist die Branche zwar noch lange nicht, aber bereits jetzt lassen sich über neue Technologien wie Wearables Daten automatisch sammeln und analysieren, auf deren Grundlage weitere Schritte abgeleitet werden können. Dazu gehören Empfehlungen für die Umverteilung von Ressourcen, Einsparpotenziale und Arbeitsschutzmaßnahmen.

Doch für einen entscheidenden Mehrwert muss der Mensch weiterhin im Zentrum der wirtschaftlichen Entscheidung stehen – denn Industrie 4.0 bedeutet vor allem eine smarte Vernetzung von Mensch, Maschine sowie den logistischen Prozessen und Abläufen. Einen Ansatz hierfür bilden smarte Wearables für die Industrie, die den Werker bei Arbeitsabläufen unterstützen, indem Informationen leichter zugänglich werden, ihn durch Automatisierung entlasten und so seine Fehlerquote verringern. Das verbessert nicht nur die Arbeitsqualität, sondern auch die Effizienz insgesamt. Beispiele für Industrie Wearables sind Pick-by-Voice und Light-Systeme, Smart Glasses oder Industrial Smart Watches.

Die Angst vor der Umsetzung ist zu groß

Doch der Einstieg und die Umsetzung von Industrie 4.0 bedeutet für Firmen vor allem: die Veränderung der logistischen Prozesse, eine Sensibilisierung für Digitalisierung auf Mitarbeiterebene und teilweise auch eine Anpassung des Geschäftsmodells. Davor schrecken noch viele Unternehmen zurück.

Die zögerliche Haltung gegenüber einer Implementierung einer ganzheitlichen digitalen Lösung in der Logistik spiegelt sich aber nicht in der eigenen Wahrnehmung wider. Deutsche Unternehmer sind selbstbewusst – mehr als jedes fünfte sieht Deutschland derzeit weltweit an der Spitze in Sachen Industrie 4.0. Die Potenziale werden ebenfalls erkannt: 95 Prozent der deutschen Industrieunternehmen sehen Industrie 4.0 als Chance für das eigene Geschäft. Durch die Corona Pandemie waren alle Unternehmen gezwungen, sich digitaler aufzustellen und es gab laut Bitkom auch einen gewissen Digitaliserungsschub – immerhin benutzen mittlerweile knapp 65 Prozent Anwendungen aus Industrie 4.0. Deutsche Industrieunternehmen haben durch die weiteren Schritte Richtung Digitalisierung während der Pandemie einen kleinen Höhenflug bekommen. Von einer Spitzenleistung in Sachen Industrie 4.0 kann man durch den Einsatz von einigen digitalen Anwendungen jedenfalls nicht sprechen. Denn es geht nicht nur darum, einzelne Prozesse oder Maschinen zu digitalisieren, sondern um eine ganzheitliche Vernetzung von Produktions- und Geschäftsprozessen.

Die Basis für Industrie 4.0 fehlt

Die Basis für die Umsetzung von Industrie 4.0 ist die Verfügbarkeit von Daten. Nur wenn Unternehmen über eine ausreichende Datenbasis verfügen, können sie die Potenziale der Digitalisierung nutzen und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Auch hier gibt es in Deutschland Nachholbedarf bei der Erfassung und Auswertung. Viele Firmen arbeiten noch mit veralteten Systemen, die nicht für eine umfassende Vernetzung geeignet sind. Es fehlt oft auch an Fachkräften, die sich mit der Datenanalyse und -verarbeitung auskennen.

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Ein weiteres Problem ist die mangelnde Standardisierung von Schnittstellen und Datenformaten. Wenn verschiedene Systeme und Maschinen miteinander kommunizieren sollen, müssen sie eine gemeinsame Sprache sprechen. Bei Industrie 4.0 geht es darum, dass alle Elemente der Wertschöpfungskette vernetzt sind und Daten austauschen können. Wenn es jedoch keine einheitlichen Standards gibt, wird dies deutlich erschwert.

Die Umstellung auf Industrie 4.0 ist außerdem mit Investitionen verbunden. Anwender müssen nicht nur neue Technologien einkaufen, sondern oft auch ihre gesamte Organisation und Arbeitsweise anpassen. Und genau hier liegt das Problem vieler Industrieunternehmen. Denn auch wenn Deutschlands Industrie durchaus versucht, digitaler zu werden und der Wille zur weiteren Transformation und Förderung da ist, trifft das meist nur auf Großkonzerne zu – der Mittelstand hat erhebliche Probleme, die Digitalisierung voranzutreiben. Viele KMU denken nicht über das Implementieren von KI-Initiativen nach. Oft wird der Nutzen im Zusammenhang mit dem großen Aufwand als zu gering eingeschätzt. Das Problem: Den meisten KMU fehlt die Grundlage. Weder Prozesse noch Produkte oder Bestandslisten sind digitalisiert und die Transformation würde für sie zunächst eine hohe Investition auf allen Ebenen bedeuten: Finanziell und kapazitiv.

Wie eine schnelle Umsetzung möglich wird

Damit KMU eine realistische Chance haben, Industrie 4.0 Anwendungen ganzheitlich, sofort und ohne enorme Kosten einsetzen zu können, muss eine möglichst einfache Lösung greifen. Wichtig ist außerdem, dass kein großes fachliches Know-how benötigt wird und Mitarbeitende sofort und schnell verstehen, wie die Anwendungen funktionieren. Die Vernetzung von Mensch mit Maschine ist hierbei essenziell, denn sie bildet ein ganzheitliches System, bei dem sie Defizite der Werkenden ausgleicht und sie bei ihrer Arbeit unterstützt. Eine Lösung hierfür bieten Industrial Smart Watches, mit denen Werker freihändig scannen und per Touch Display Informationen ablesen und eingeben können. Sämtliche erfasste Daten werden dann direkt an das Warehouse Management System (WMS) gesendet – so müssen sie nicht mehr manuell erfasst werden. Die individuelle Gestaltung von Standard-Workflows macht den Umgang mit der digitalen Lösung maximal einfach, denn das Gerät übernimmt das Onboarding selbst und führt den Werker durch die gesamten Arbeitsabläufe. Mit Lösungen wie diesen können KMU schnell und effizient den Weg zur Industrie 4.0 bestreiten.

Insgesamt kann man sagen, dass sich Deutschland auf dem Weg zur Industrie 4.0 befindet, aber kein Spitzenreiter ist. Gerade KMU müssen sich anfangen zu trauen, digitale Anwendungen einzusetzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu wahren. Wer nicht spätestens bis 2025 auf eine ganzheitliche Lösung setzt, wird im Wettrennen mit Konkurrenten auf der Strecke bleiben.

* Andreas Funkenhauser ist Co-Gründer und CEO von Nimmsta, einem Hersteller für Industrial Smart Watches.

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