Sorgfaltspflicht Das Lieferkettengesetz pusht das Risikomanagement
Kinderarbeit, Zwangsarbeit, null Arbeitsschutz – ab dem 1. Januar 2023 alles Geschichte? Ab dann müssen Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten dafür sorgen, dass ihre Lieferketten „clean“ sind, solche mit über 1.000 Mitarbeitenden haben ein Jahr länger Zeit. Wir sprachen mit Dr. Christoph Rojahn und Marcel Etschenberg von der Frankfurter Niederlassung des New Yorker Beratungshauses Kroll.
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Der Referentenentwurf für das neue Lieferkettengesetz wurde Ende Februar 2021 veröffentlicht, der Regierungsentwurf Anfang März verabschiedet – alleine, das Gesetz ist noch nicht verkündet. Die Rede ist vom „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“. Weil das Sorgfaltspflichtengesetz etwas sperrig und unpräzise klingt, ist daraus inzwischen das „Lieferkettengesetz“ geworden.
Meine Herren, Aktivisten fordern seit Jahrzehnten vergeblich gesetzlich regulierte Lieferketten. Droht dem Gesetz nicht der Frühtod eines Papiertigers? Es begründet ja nur eine „Bemühenspflicht“, von „Erfolgspflicht“ oder „Garantiehaftung“ ist keine Rede …
Marcel Etschenberg: Es ist mit Sicherheit noch zu früh, um eine Prognose abzugeben, wie erfolgreich die momentan diskutierten gesetzlichen Regelungen zur Erhöhung der Verantwortung in der Lieferkette sein werden. Aber der Anspruch, dass Unternehmen quasi verpflichtet sein sollten, den Erfolg ihrer Kontrollmaßnahmen zu garantieren, wäre vermutlich eine unrealistisch hohe Hürde für den Gesetzgebungsprozess. Die momentanen Überlegungen gehen insofern in die richtige Richtung, als sie, ausgehend vom Verantwortungsgedanken der Unternehmen, Vorgaben machen, was zu tun ist und wie weit die Zuständigkeit der Unternehmen reichen wird.
Herr Dr. Rojahn, sind nicht am Ende wieder – ähnlich wie bei den relativ hohen Umweltstandards hierzulande – die deutschen Unternehmer die Gekniffenen?
Dr. Christoph Rojahn: Gestatten Sie, dass ich mit einer Gegenfrage antworte: Sollte der Maßstab sein, dass wir in diesen Feldern mit dem absoluten Minimum argumentieren? Selbstverständlich sehen sich deutsche Unternehmen, um Ihren Vergleich aufzunehmen, im Bereich des Umweltschutzes höheren Anforderungen gegenüber, als das in manchen anderen Ländern der Fall ist. Aber diese Anforderungen sind doch die Manifestation demokratisch bestimmter, politischer Prioritäten. Und wir sollten nicht aus den Augen verlieren, dass traditionell „weiche“ Faktoren wie Umweltschutz, die Situation von Arbeitnehmern und – in Folge der aktuellen Debatte – auch Zulieferern durchaus erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung eines Unternehmens in der Öffentlichkeit haben.
Der gesetzliche Rahmen soll „klar, verhältnismäßig und zumutbar“ sein. Wer bestimmt das Maß und ist das nicht viel zu schwammig formuliert?
Etschenberg: Es hat bisher zu keinem Zeitpunkt ein Lieferkettengesetz (nunmehr „Sorgfaltspflichtengesetz“) gegeben. Der gesamte Ansatz ist ja neu. Selbstverständlich entstehen daraus im Detail auch Auslegungserfordernisse und -probleme. Erst in den kommenden Jahren wird sich in der Praxis zeigen, wie manche Regelungen auszulegen sind, wie die Gerichte urteilen werden und ob der Gesetzgeber gegebenenfalls nachjustieren muss. Grundsätzlich stehen die Bürger in Deutschland hinter dem Grundgedanken eines Lieferkettengesetzes. So geht aus einer repräsentativen Umfrage von Infratest Dimap hervor, dass drei von vier Menschen in Deutschland ein Lieferkettengesetz wollen.
Eine Anpassung an künftige europäische Regelungen wäre doch sicher wieder ein Downsizing der deutschen Vorgaben …
Etschenberg: Das mag in anderen Fällen so gewesen sein, hier könnte jedoch das Gegenteil eintreten. Die Eckpunkte des europäischen Gesetzesvorhabens gehen im bisher vorliegenden Entwurf deutlich über das angekündigte deutsche Lieferkettengesetz hinaus. So soll es beispielsweise für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe gelten. Ferner sieht der deutsche Gesetzesentwurf eine Abstufung von direkten und indirekten Lieferanten vor. Diese Abstufung fiele nach dem europäischen Entwurf weg, sodass alle Stufen der Lieferkette gleich behandelt werden müssten. Zudem sieht der europäische Entwurf anstatt einer Geldbuße bei Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten auch eine zivilrechtliche Haftung vor, nur um einige wichtige Unterschiede zu nennen.
Deutsche Einkäufer und Supply-Chain-Manager brauchen hier Hilfestellung. Was kann ein Beratungshaus wie Kroll mit seiner Internationalität hier konkret leisten?
Rojahn: Internationalität ist hier genau das richtige Stichwort – wir unterstützen zwar Mandanten auch immer wieder bei der Entwicklung und Implementierung geeigneter Regelungen im Unternehmen am Stammsitz, werden aber vor allem im Ausland tätig, wo es für ein Unternehmen nicht sinnvoll ist, entsprechend spezialisierte Ressourcen selbst vorzuhalten. Typisch sind hier zwei Szenarien: Zum einen werden wir regelmäßig hinzugezogen, wenn ein Unternehmen Informationen über einen lokalen Geschäftspartner oder Zulieferer benötigt, insbesondere, um mögliche Risiken einschätzen zu können. Klassische Fragen sind hier beispielsweise, ob es Reputationsthemen gibt, wer die tatsächlichen Eigentümer sind oder wie der lokale Markt die Kompetenz und Leistungsfähigkeit des Unternehmens einschätzt. Zum anderen unterstützen wir unsere Mandanten anlassbezogen, beispielsweise, indem wir uns den Standort eines Zulieferers vor Ort im Rahmen routinemäßiger Überprüfungen ansehen oder bei Hinweisen auf mögliche Compliance-Verstöße ermitteln. Wir arbeiten hier aus unseren eigenen Büros in mehr als 30 Ländern und greifen regelmäßig auf lokale Kontakte zurück.
Auf welche Branchen sehen Sie die größten Herausforderungen zurollen?
Rojahn: Das können Sie in gewissem Umfang aus dem jeweiligen Geschäftsmodell ableiten: Wenn Zulieferer mehr oder weniger ausschließlich über den Preis konkurrieren und die für die Produktion erforderlichen Mitarbeiter entweder nur über begrenzte Qualifikationen verfügen müssen und/oder in Ländern mit niedrigem Lohnniveau, aber erheblichem Druck auf dem Arbeitsmarkt angesiedelt sind, haben Sie bei den Arbeitsbedingungen automatisch das Risiko eines „race to the bottom“. Ich warne aber davor, hier ausschließlich über Branchen zu gehen: Gerade Unternehmen mit einer gewissen Bandbreite an Produkten werden hier sehr differenzierte Analysen durchführen müssen, um zu klären, wo die Risiken liegen, wenn sie nicht ihren gesamten Lieferantenbestand nach dem höchsten feststellbaren Standard behandeln wollen. Wenn Sie den Anglizismus verzeihen: „One size fits all“, aber kostet extra.
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Neues Lieferkettengesetz
Lieferkettengesetz bringt nicht nur Mittelständler ins Schwitzen
Wie können ausländische Lieferanten konkret gemonitort werden? Unangekündigte Kontrollen sind teuer und können, je nach Häufigkeit und Stringenz, zu Spannungen führen. Oder das Ganze on site vorhalten?
Etschenberg: Gerade weil man weiß, dass solche Kontrollen zu Spannungen führen können, macht es Sinn, sich vorher Gedanken zu machen, wie man diese möglichst reibungsarm in die Geschäftsbeziehung einbauen kann. Es macht beispielsweise Sinn, entsprechende Regelungen (unter dem Stichwort „audit clauses“) frühzeitig zu verhandeln und vertraglich festzulegen, weil die entsprechenden Verhandlungen im Zweifel sehr viel spannungsfreier verlaufen, solange kein konkreter Zeitdruck besteht, und man sie idealerweise in einen kommerziellen Kontext einbinden kann. Bei einer bestehenden und in allen Punkten fixierten Lieferbeziehung, die noch längere Zeit läuft, wird es sehr viel schwieriger sein, entsprechende Regelungen nachträglich einzuziehen, weil der Zulieferer keinen Vorteil damit verbinden wird.
Rojahn: Ich darf hier noch einen Punkt aus der Perspektive des Beraters ergänzen. Aus Sicht der betroffenen Unternehmen macht es genau aus diesen Gründen auch sehr viel Sinn, sich VOR dem tatsächlichen Bedarf zu überlegen, wie und gegebenenfalls mit welcher Unterstützung man das Monitoring und insbesondere die anlassbezogene Prüfung realisiert. Wenn bei uns ein Unternehmen eine solche Leistung sehr kurzfristig anfragt, helfen wir natürlich gerne, es wird aber höchstwahrscheinlich komplizierter und damit auch teurer, wenn wir unter Zeitdruck die vertraglichen Aspekte abstimmen und uns in die Lage einarbeiten müssen. Ganz offen gesagt, ist das für den Mandanten nicht die optimale Verhandlungsposition. Wenn dasselbe Unternehmen stattdessen frühzeitig einen entsprechenden Rahmenvertrag verhandelt, wir das Unternehmen und seine Zulieferer in Ruhe kennenlernen und an der Entwicklung der entsprechenden Strategie mitarbeiten können, ist die Reaktion auf eine problematische Situation deutlich einfacher für alle Beteiligten.
Herzlichen Dank für Ihre Einblicke in diese doch sehr kontroverse Thematik, meine Herren!
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