Medikamententransport Temperaturgeführte Logistik: Rückgrat des Impfprogramms
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Die Pandemie betrifft uns alle. Und alle wollen wir sie besiegen. Dadurch ist der Impfstofftransport in die Öffentlichkeit gerückt. Damit der gelingt, braucht man die temperaturgeführte Logistik.

Laut einem Online-Impfterminrechner könnte ich das Vakzin ungefähr Mitte bis Ende des Jahres 2021 erhalten. Als Unter-30-Jähriger ohne Vorerkrankungen sind natürlich viele andere vor mir an der Reihe. Aber immerhin scheint ein Termin in Sicht.
Damit das funktioniert, muss der Impfplan der Bundesregierung auch vollständig umgesetzt werden können. Dafür benötigt man neben genügend verfügbaren Impfdosen und Impfzentren auch eine zuverlässige Transport- und Lagerinfrastruktur. Verantwortlich dafür ist die temperaturgeführte Logistik. Bisher arbeitete die Branche eher unter dem Radar. Durch die Pandemie ist sie in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Ohne diese Logistik wäre eine breite Verfügbarkeit von Impfungen nicht möglich. Kann die Branche auch in Zukunft die benötigten Kapazitäten liefern, sowohl was den Transport als auch die Lagerung angeht? Hier die Antworten:
Fangen wir mit einer guten Nachricht an: Die temperaturgeführte Logistik in Deutschland ist gut aufgestellt. Man könnte vermuten, dass die Zusatzbelastung eine große Herausforderung darstellt, aber so schlimm ist es gar nicht. „Von 100 Krankheiten sind 99 kein Corona. Für die 99 wurden aber schon vor der Pandemie Medikamente und Vakzine transportiert. Die Anforderungen, die mit der Impfstofflogistik jetzt einhergehen, sind nicht neu“, erzählt Dr. Joachim Kuhn, Geschäftsführer des Thermoboxenherstellers Va-Q-Tec.
Für Deutschland sieht es gut aus
Kühne + Nagel, ein internationales Speditionsunternehmen, das bei der Impfstoffverteilung in Deutschland aktiv ist, macht sich auch keine Sorgen um Kapazitätsengpässe. Man habe für den europäischen Markt 200 Fahrzeuge, die sowohl den Pfizer-Impfstoff als auch das Vakzin von Moderna transportieren können. Natürlich auch alle anderen Impfstoffe mit ähnlichen oder geringeren Anforderungen. Dafür sind die Lkw in unterschiedliche Temperaturzonen aufgeteilt.
Um die Impfstofflogistik besser zu veranschaulichen, hat uns Dominique Nadelhofer, Pressesprecher bei Kühne + Nagel, ein Rechenbeispiel gegeben: „Eine Palette trägt zwischen 60.000 und 150.000 Dosen, abhängig von der Anzahl Dosen pro Phiole. In einem 40-t-Lkw können 10 bis 15 solcher Paletten transportiert werden. In Summe schafft also so ein Lkw pro Ladung 800.000 bis über 2 Mio. Impfdosen.“
Das ist nur eine Modellrechnung. In der Realität werden wohl weniger Impfdosen auf einmal an die Impfzentren geliefert. Momentan laufen die Lieferungen tagesaktuell ab. So soll die Lagerung und Sicherung der Vakzine in den Impfzentren erleichtert werden. Aber die möglichen Kapazitäten zeigen, dass man auch dann noch ausliefern kann, wenn die Zahl der Impfungen sukzessive ansteigen sollte.
International sieht es schon ein bisschen anders aus. Laut DHL ist es zwar auch nicht unüblich, in Katastrophenfällen flexible Lieferketten aufzubauen, die ebenfalls entlegene Regionen erreichen. Auch die Temperaturen von bis zu -70 bis -80 °C sind an sich kein Problem. Aber die schiere Masse an medizinischen Gütern, die weltweit nun transportiert werden muss, gab es so noch nie. Der Lieferkonzern rechnet damit, dass etwa 15.000 Flüge nötig sein werden, um über 10 Mrd. Impfdosen zu verteilen.
Während in West- und Mitteleuropa viele Lieferungen direkt vom Herstellungsort zu den temperierten Lagern und Impfzentren auf dem Landweg erfolgen können, ist die Verteilung in Teilen Osteuropas, Lateinamerikas und Afrikas deutlich anspruchsvoller. Dort fehlt es oft an Lagern und Transportketten für sensible medizinische Waren. Gerade an Verkehrsknotenpunkten wie Häfen und Flughäfen, aber auch an Einrichtungen in den Städten und vor allem auf dem Land muss etwas passieren. Diese Infrastrukturen aufzubauen, wird vermutlich die größte Herausforderung, der sich die temperaturgeführte Logistik in den nächsten Jahren stellen muss.
Dabei sind nicht nur die Spediteure gefragt. Der reine Transport von A nach B ist eine Sache. Aber die Impfdosen müssen in Fahrzeugen und Lagern auch sicher verstaut und auf Temperatur gehalten werden. Gerade bei den Vakzinen, die nur bei tiefen Temperaturen intakt bleiben, reicht beispielsweise die Kühlung eines Tiefkühl-Lkw allein nicht aus. Hier sind Kältetechnikunternehmen gefragt. Va-Q-Tec, Technotrans und Mecotec sind zum Beispiel in diesem Bereich aktiv.
Diese Systeme machen es möglich
Das Würzburger Unternehmen Va-Q-Tec ist neben Dämmstoffen auch auf Thermobehälter spezialisiert, die Temperaturen in ihrem Inneren über mehrere Tage konstant halten können. Die Produkte der Firma funktionieren ohne aktive Kühlung. In den Wänden der Behälter sind Vakuumisolationspaneele integriert, die den Temperaturaustausch erschweren. Um im Inneren der Boxen die Temperatur zu halten, kommen Temperaturbatterien zum Einsatz. Laut Geschäftsführer Joachim Kuhn sind das quasi Hightech-Versionen von Kühlakkus, die man im Sommer zum Beispiel in der Kühltasche für ein Picknick mitnimmt. Extra Kühlmittel wie Trockeneis wird nur für die Vorbereitung der Boxen und Container für Transporte bei -70 °C gebraucht. Man arbeite daran, dass man in naher Zukunft auch diese Temperatur ohne Trockeneis erreicht. Die Boxen von Va-Q-Tec können ihre Temperatur bei normalen Klimaverhältnissen bis zu 10 Tage lang halten. Die am häufigsten verwendete Kühlbox bietet Platz für 1.000 bis 2.000 Dosen.
Technotrans aus Sassenberg bei Münster bietet eine Einrichtung, die auch für den Einsatz in einem Lager oder Impfzentrum geeignet ist. Ecotec Cold Storage hat die Abmessungen eines Frachtcontainers. Im Inneren können unterschiedliche Temperaturzonen eingerichtet werden. Der Temperaturbereich geht von 8 bis -80 °C. Zwei in Kaskaden nacheinander angeordnete Kühlanlagen sorgen für die benötigten klimatischen Verhältnisse. Damit beim Betreten des Containers kein zu großer Temperaturaustausch mit dem Außenbereich auftritt, ist im Container eine Schleuse installiert. Die Konstruktion kann per Container-Lkw oder auf Containerschiffen transportiert werden. Die einzige Voraussetzung für den Betrieb ist eine externe Stromversorgung. Auf Wunsch kann die Einrichtung auch mit einer Notstromversorgung ausgestattet werden. Die Kapazitäten der Einrichtung sind individuell. Je nachdem, wie groß der jeweilige Temperaturbereich ist, können unterschiedlich viele Impfdosen darin gelagert werden.
Mecotec aus Bitterfeld-Wolfen bei Halle bietet sowohl mobile (Container) als auch stationäre Anlagen (Kühlhaus) an. Beide Lösungen arbeiten mit aktiver Kühlung und sind für bis zu -80 °C ausgelegt. Beim mobilen System sorgen zwei Dieselgeneratoren für eine redundante Energieversorgung der Kühlaggregate, sollte keine externe elektrische Versorgung möglich sein oder diese ausfallen. Um die Anlagen zu betreiben, ist ein 400-V-Stromanschluss notwendig. Für das Kühlhaussystem benötigt man noch einen überdachten Außenbereich. Der Container bietet etwa 1 Mio. Impfdosen Platz, in das Lagerhaussystem passen – je nach Verpackung – bis zu 2,4 Mio. Impfdosen.
Industrie und Logistik arbeiten eng zusammen, um der vor ihnen liegenden Mammutaufgabe Herr zu werden. Die wirklichen Herausforderungen werden erst noch kommen. Während hier in Mitteleuropa im Laufe des Jahres immer mehr Impftermine verteilt werden und irgendwann jeder, der gerne einen hätte, auch einen bekommt, geht es in anderen Ländern erst los. Dort muss die Infrastruktur geschaffen und die Versorgung geplant und umgesetzt werden. Das hat zur Folge, dass der Katalysatoreffekt, den die temperaturgeführte Logistik erlebt, wahrscheinlich weiter anhalten wird. Die Unternehmen und Experten, die wir für diesen Beitrag befragt haben, gehen davon aus, dass die Branche wohl noch zwei bis drei Jahre davon profitieren wird.
„Von 100 Krankheiten sind 99 kein Corona“
Und was ist danach? Müssen die Kapazitäten wieder zurückgebaut werden? Nicht unbedingt, denn „von 100 Krankheiten sind 99 kein Corona“. „Ich glaube nicht, dass wir je wieder in einer Zeit ohne Pandemie leben werden. Unsere Lebensweise begünstigt das Ausbreiten von Viren“, sagt Kuhn. Je besser wir vorbereitet sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass wir in Zukunft noch einmal eine Pandemie dieses Ausmaßes durchleben müssen.
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