Lagerkonzepte Änderung der Warenströme bringt Produktivitätssteigerung
Vertriebliche Ausrichtung an Markt- und Kundenanforderungen ist eine Seite erfolgreicher Unternehmen, die Steigerung der internen Produktivität die gleich wichtige andere. Bei einem Montagebetrieb mit hoher Varianz zeigte sich, dass sich die Produktivität durch optimierte Prozesse unter technologischen, logistischen und ergonomischen Aspekten steigern lässt.
Anbieter zum Thema
Mit prozentual fast durchgängig zweistelligen Volumen-Zuwachsraten musste sich der Wittur-Konzern, Hersteller von kompletten Aufzugsystemen, in den vergangenen Jahren auseinandersetzen. Besonders in den Montageabteilungen war diese Dynamik kaum mehr zu bewältigen. Zur Optimierung der Prozesse und zur Unterstützung in der Kapazitätsausweitung hat Wittur deshalb die Wendlinger Beratungsgesellschaft U2 engagiert, die stark auf Prozesse und Strukturen konzentriert vorgeht und umsetzungsorientiert arbeitet.
Fertigung erhält Aufträge im Wochenlos
Am Standort Scheibbs (Österreich) werden insbesondere Fahrkorbrahmen, Türantriebe, Systempakete sowie Sicherheitseinrichtungen gefertigt und montiert. Die Fertigung mit Blechbearbeitung, Zerspanung, Schweißen und Lackiererei erhält ihre Aufträge als Wochenlos.
Die gefertigten Teile werden als Lagerware und als auftragsbezogene Ware an die Einzelarbeitsplätze der Montage transportiert, dort montiert, geprüft und kundenbezogen in Transportkisten verpackt.
Die Einzelarbeitsplätze stellten sich jedoch als Wachstumsbremse heraus, weil die verfügbare Hallenfläche keine Einrichtung weiterer Einzelmontagen mehr erlaubte. Zielsetzung war es deshalb, eine Montageorganisation umzusetzen, die auf der verfügbaren Hallenfläche das gestiegene Volumen bewältigbar macht.
Gleichzeitig sollten die Materialbestände deutlich reduziert werden und möglichst der bisherige 3-Schicht-Betrieb vermieden werden.
Für die Vielzahl von Produkten mit ihren Varianten wurden mehrere interdisziplinäre Teams aus Wittur-Mitarbeitern und U2-Beratern gebildet. Somit war von vorneherein sichergestellt, dass Produktkenntnis der Mitarbeiter und Know-how und Do-how der U2-Berater gemeinsam lösungsorientiert einsetzbar waren. Zunächst wurden die Detaillayouts der Montagelinien optimiert und anschließend entsprechend den Materialströmen ein Gesamtlayout erarbeitet.
Geändertes Montagelayout erhöht Montagekapazität
Ein neues Montagelayout sollte es ermöglichen, das Volumen im 2-Schicht-Betrieb zu bewältigen. Die zukünftig erforderliche Montagekapazität wurde für jede Produktfamilie in vier Schritten ermittelt:
- Erarbeitung des Volumen-Forecasts mit den Key-Accounts,
- Ableitung der montagerelevanten Stückzahlen,
- Festlegung des nach Kunden-Forecast erforderlichen Soll-Outputs je zu installierender Montagelinie,
- Ermittlung der im 2-Schicht-Betrieb verfügbaren Betriebszeit und Berechnung der daraus resultierenden Taktzeiten und Austaktung an den Kundentakt (die durchschnittlich zur Verfügung stehende Zeit je Produkt).
Arbeitsschritte werden zeitlich an Kundentakt angeglichen
Unter Austaktung versteht man die zeitliche und inhaltliche Angleichung von Arbeitsschritten an den Kundentakt, also den Soll-Output je Zeiteinheit, der erforderlich ist, um die Nachfrage zu befriedigen. Dazu werden die einzelnen Montageschritte analysiert und die benötigte Zeit ermittelt. Dies erfolgt am besten mittels Videoanalysen, mit denen den Arbeitsschritten die benötigten Zeiteinheiten korrekt zugeordnet werden können.
Nun gilt es, diese Arbeitsschritte an den Kundentakt anzugleichen, das heißt, die Arbeitschritte werden so in ihre Zeitbausteine zerlegt und wieder sinnvoll kombiniert, dass die Summe der Arbeitsschritte dem Kundentakt entspricht. Liegt die Summe der Arbeitsschritte unter oder über dem Kundentakt, wird produktiv nutzbare Arbeitszeit verschwendet.
Ergebnisse eines Teilprojektes – getaktete Montage mit Ablage in Versandkiste – waren zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmte Arbeitsschritte, die kostspielige Verschwendungen wie Wartezeiten und unproduktive Tätigkeiten vermeiden. (Bild 1 – siehe Bildergalerie).
One-Piece-Flow in der Montage
Entsprechend den Zielsetzungen einer Bestandsreduzierung bei Bewältigung der Variantenvielfalt wurden die Montagen als One-Piece-flow-System organisiert. Ohne Zwischenlager und Puffer können damit bei vorkommissionierter Materialbereitstellung alle Varianten schichtgenau eingesteuert werden.
Ein festes Linienteam montiert die Kundenaufträge vom Abruf über Touch-Screens bis zur versandfertigen Bereitstellung. Hallenmonitore zeigen das Tagessoll, die gefertigten Stückzahlen und die Soll-Ist-Abweichungen. Somit haben die Mitarbeiter und Vorgesetzten die Möglichkeit, bei Abweichungen entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Mit dieser Montageorganisation mussten natürlich auch das bisherige Lagerkonzept und die Materialströme vom Wareneingang bis an die Montagelinien überprüft und angepasst werden. Man entschied sich, basierend auf Analysen der Bestands- und Verbrauchswerte, für eine zentrale Lagerorganisation, deren Herzstück ein „Supermarkt“ ist. In diesen werden die Materialien in definierten Gebinden und an zugeordneten Lagerorten verbrauchsorientiert eingelagert.
Die Entnahme erfolgt auftragsbezogen anhand von Kommissionierlisten. Somit ist sichergestellt, dass das richtige Material zur richtigen Zeit an der richtigen Montagelinie verfügbar ist. Vervollständigt wird das Lagersystem durch ein Normteilelager und eine Kanban-Anbindung an die Blechbearbeitung (Bild 2).
Begleitende und unterstützende Maßnahmen
Für Vorgesetzte und Mitarbeiter bedeutete diese in knappster Zeit durchgeführte Analyse, Konzeption der Optimierungen und anschließende Umsetzungen einen gewaltigen Paradigmenwechsel. Jetzt ist akkurate Teamarbeit notwendig. Wittur und U2 haben daher schon zu Beginn des Projektes begleitende und unterstützende Maßnahmen vereinbart.
Zunächst wurde ein leistungsorientiertes individuelles Entgeltsystem entwickelt, das die Kriterien Einhaltung des Liefertermins, Reklamationsquote, Wirtschaftlichkeit des Teams als Verhältnis der eingesetzten Arbeitszeit zum Output sowie den individuellen Beitrag des Einzelnen zur Teamarbeit berücksichtigt. Gleichzeitig wurde ein Produktionscontrolling eingeführt, das es ermöglicht, den Soll-Output tagesgenau für jede Variante zu berechnen und Abweichungen und Störungen transparent werden zu lassen.
Für die Mitarbeiter an den Linien wurden so genannte KVP-Workshops (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) konzipiert, mit denen sie für die Identifikation und Beseitigung von Verschwendungen sensibilisiert und angeleitet wurden. Die Schichtführer haben Methodik und Anwendungen des KVP intensiver erfahren und moderieren jetzt nach einer Train-the-Trainer-Schulung mehrere interdisziplinäre KVP-Teams.
Die Materialbestände und der Flächenbedarf sanken
Die Analyse, Konzeption, Simulation und Umsetzung in nur vier Monaten – ohne Schulungen und Trainings - war anspruchsvoll und teilweise wurde intensiv, aber pragmatisch um Lösungen gerungen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Die Hallen prägt eine offene und übersichtliche Atmosphäre, ohne überflüssige Regale und Zwischenlager. Materialien werden auftragsbezogen aus einem zentralen Lagersystem kommissioniert.
Die Fertigungsplanung erfolgt kurzfristig vor Schichtbeginn und ermöglicht es somit, auch Eilaufträge ohne Störung des Fertigungsflusses einzusteuern. Die Durchlaufzeiten haben sich deutlich verringert und dem Kundenwunsch nach kurzen Lieferzeiten kann noch besser entsprochen werden. In Zahlen ausgedrückt heißt dies:
- Reduktion des produktbezogenen Flächenbedarfs um 18%,
- Reduktion der Materialbestände um 26%,
- Einsparung an Personalkosten um 37% und
- Verkürzung der Montagezeiten um durchschnittlich 44%.
Damit ist es gelungen, den Standort Scheibbs (Österreich) für weiteres Wachstum durch eine systematische Prozessoptimierung fit zu machen. Inzwischen ist U2 auch mit der Prozess- und Layoutoptimierung in den Wittur-Werken in China, Italien, Spanien und Argentinien beauftragt worden.
Dipl.-Kfm. Achim Kelbel ist Unternehmensberater in 70195 Stuttgart und Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Wolfgang Leuschen ist Geschäftsführer der U2 Unternehmensberatung & Unternehmensunterstützung GmbH, 73240 Wendlingen.
(ID:244072)