SAP-Integration Das Zünglein an der Waage
SAP hat die Wartung und den Support für die Komponente Warehouse Management (WM) zum Ende 2025 abgekündigt. Unternehmen müssen also langsam darangehen, ihr bestehendes WM-Modul durch ein anderes Warehouse-Management-System zu ersetzen – beispielsweise durch SAP EWM (SAP Extended Warehouse Management). Der Beitrag zeigt, welche Branchen derzeit am meisten in die SAP-Implementierung investieren, welche konkreten Verbesserungen sie sich erwarten und wie das Zusammenspiel zwischen Mechanik, Steuerung (SPS) und SAP-EWM-Software klappt.
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Nach Angaben des Teams „warehouse logistics“ im Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) gibt es derzeit weltweit etwa 1700 Produktivkunden für SAP EWM – im Jahr 2014 lag diese Zahl noch bei rund 700. Die erfolgte Abkündigung von SAP WM lässt vermuten, dass in nächster Zeit immer mehr Unternehmen auf den EWM-Zug aufspringen werden. „Da sowohl die Nutzungsrechte für das SAP WM im S/4-HANA-Umfeld als auch der Support für das SAP WM im SAP-ERP-R/3-Umfeld (in der Regel ECC 6.0) durch SAP zu 2025 abgekündigt sind, erwarten wir auch für die nächsten Jahre weiterhin einen deutlichen Zuwachs an SAP-EWM-Kunden“, sagt Kira Schmeltzpfenning voraus. Die Diplom-Wirtschaftsingenieurin ist am Fraunhofer-IML in Dortmund im Bereich Intralogistik und IT-Planung tätig und hat dort die fachliche Leitung des Teams „warehouse logistics“ inne.
Welche Branchen investieren?
Aber welche Branchen investieren denn zurzeit am meisten in die SAP-Implementierung? „Das ist eine schwierige Frage, da wir natürlich nur einen Teil des Marktes mitbekommen und überblicken“, sagt Fin Geldmacher, einer von drei Geschäftsführern der Dortmunder Prismat Gesellschaft für Softwaresysteme und Unternehmensberatung mbH, der schon als Interviewpartner auf den Seiten 14 und 15 Rede und Antwort gestanden hat. „Unsere laufenden Projekte sind momentan breit verteilt auf die Branchen Automobilindustrie (inklusive der Zulieferer), Maschinenbau, technischer Großhandel, Möbelgroßhandel, Lebensmittel (inklusive Getränken), Konsumgüter und Gebäudetechnik.“ Darüber hinaus verzeichnet Geldmacher aktuell Anfragen aus den Branchen Chemie, Pharma, Defence, Fashion und Logistikdienstleistungen, sodass es für ihn wie in den Jahren zuvor ein bunter Branchenmix ist.
Matthias Kraus, Manager EWM bei der Hamburger Leogistics GmbH, legt sich da eher fest: „Fast schon traditionell findet sich der Handelssektor im Bereich der SAP-Implementierungen ganz vorne. Getrieben durch die hohen Endkundenanforderungen und starken Wettbewerbsdruck werden die SAP-Logistiksysteme zunehmend zum Zünglein an der Waage, um das letzte Quäntchen Optimierungspotenzial in der logistischen Kette auszuschöpfen.“ Nicht zuletzt durch die immer stärkere Vernetzung der Disziplinen Lager und Transport, eine zeitlich höhere Taktung zur Effizienzsteigerung und ausgeklügelte Logistiknetzwerke würden viele Kunden ihre IT-Systeme mit Lösungen auf SAP-Basis optimieren, um den Anschluss nicht zu verpassen.
Auch für Thomas Schmid, Prokurist bei der Aberle Software GmbH, sticht keine Branche bei der SAP-EWM-Implementierung besonders hervor. „Natürlich sind die Branchen Automotive, Maschinenbau und Pharma mit vorne dabei. In der Vergangenheit waren unsere SAP-Implementierungen immer sehr stark von der Distributionslogistik geprägt“, so Schmid. Aktuell spürt sein Unternehmen eine deutlich gestiegene Nachfrage nach SAP-EWM-Lösungen in der Produktionslogistik. Das habe verschiedene Gründe: „Zum einen hat SAP in den letzten EWM-Versionen den Funktionsumfang im Bereich der Produktionslogistik stark erweitert. Ein Beispiel ist hierfür die neue Abwicklung in SAP EWM mit der Produktions-Material-Anforderung (PMA), die es erlaubt, die Produktionsprozesse noch besser und flexibler in SAP EWM zu integrieren.“ Aber auch der Fokus seiner Kunden habe sich geändert, sagt Prokurist Schmid. „Durch neu eingeführte Produktionsverfahren, wie zum Beispiel die Fließmontage, ergeben sich geänderte Anforderungen an die Logistik: Materialanforderungen werden kleinteiliger und müssen in kürzeren Zeitintervallen direkt am Verbrauchsort bereitgestellt werden.“ Dies erfordere eine optimierende, IT-geführte Steuerung der Logistikprozesse zur Produktionsversorgung.
Empfehlung: VDI-Richtlinie 3601
Die meisten WM-Systeme stellen auf die Kernprozesse rund um Warenein- und -ausgang im Lager ab, mit Nuancen in der Prozesstiefe oder innerhalb bestimmter Branchen. Auch bei bestimmten Zusatzprozessen sind die Wettbewerber gleichauf, wie beispielsweise beim etwas spezielleren Themenkreis Chargen und Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). „Worin sich die Systeme aber deutlich unterscheiden, ist das Thema Integration“, sagt Fin Geldmacher. „Ich kann jedem Kunden, der anfängt, sich mit dem Thema WMS zu beschäftigen, die VDI-Richtlinie 3601 ans Herz legen. Denn sie gibt nicht nur einen guten Gesamtüberblick über Kern- und Zusatzprozesse beziehungsweise -funktionen in einem Lager, sondern sensibilisiert auch für die Wichtigkeit der Integrationsthematik.“ Die große Stärke von SAP sei immer schon die Integration gewesen.
Kunden, die sich für SAP EWM entscheiden, erwarten in erster Linie einen effizienteren logistischen Ablauf, gestützt durch ein IT-System, das sie bei Bedarf aktiv bei der Analyse der aktuellen Istzustände im Lager unterstützt und ihnen Werkzeuge an die Hand gibt, mit deren Hilfe das operative Personal auf Änderungen im Tagesablauf oder Ausnahmesituationen schnell, fehlerfrei und selbstständig reagieren kann. Leogistics-Mann Kraus: „Jede Minute Stillstand im Lager generiert Kosten, gefährdet die Termintreue und führt zu einer Verzögerung in den nachgelagerten Prozessen. Die Kunden erwarten darüber hinaus, dass sie mit SAP EWM maximal flexibel auf Änderungen am Markt reagieren können, indem die IT-Prozesse ebenfalls flexibel, schnell und kostengünstig in SAP EWM angepasst werden können.“
Prozesse ganzheitlich betrachten
Für die Kunden von Aberle Software stehen die Prozesse im Vordergund. „Unsere Kunden erwarten durchgängige und performante Prozesse – vom ERP bis zur Lagertechnik. Systembrüche und Schnittstellen verlangsamen die Prozesse, sorgen für laufende Kosten beim Anwender und sollen deshalb weitestgehend eliminiert werden“, schildert Schmid die Kundenanforderungen. Dies könne im Zusammenspiel zwischen SAP ERP und SAP EWM sehr gut erreicht werden. „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass für eine optimale Integration der Lagerverwaltung und Materialflusssteuerung in die ERP-Welt die Prozesse des Kunden ganzheitlich betrachtet werden müssen und die Bereitschaft auf der Seite des Kunden vorhanden sein muss, ,alte Zöpfe‘, auch in den ERP-Prozessen, abzuschneiden“, sagt der Aberle-Prokurist.
Gute Bedienoberflächen gesucht
Die operative Ausführung der Prozesse im Lager könne durch Nutzung von modernen User Interfaces (UI) enorm verbessert werden. „Dabei werden in unseren Projekten die Bedienoberflächen an den operativen Prozess angepasst und die Verbuchung der Tätigkeit erfolgt im Hintergrund mit den SAP-EWM-Standardfunktionen. Dadurch entstehen Standard-nahe Implementierungen, die die individuellen, vielfältigen und von Projekt zu Projekt differierenden Anforderungen optimal abbilden“, so Schmid.
Auf das Zusammenspiel von Mechanik, Steuerung und Software angesprochen, gibt sich Prismat-Mann Geldmacher sehr zufrieden: „SAP EWM besitzt mit der Komponente Materialflusssystem (MFS) seit dem Release 5.1 einen vollständig integrierten und vollwertigen Materialflussrechner. Als SAP das MFS vor rund zehn Jahren vorstellte, war die Skepsis bei den Kunden groß und viele Technik- und WMS-Anbieter belächelten die Lösung. Seit einigen Jahren lächeln SAP und wir, da sich EWM für die Integration von Automatisierungstechnik etabliert hat. Viele unserer Kunden setzen EWM ein, um die SPS direkt zu integrieren und den Materialfluss zu steuern.“ Geldmacher hat in den letzten zehn Jahren aber auch die Erfahrung gemacht, dass es zwischen den Automatisierungsherstellern große Unterschiede bei der SPS-Integration gibt. „Mit unserem Partner Viastore Systems haben wir deshalb eine standardnahe Gesamtlösung konzipiert, die es uns erlaubt, schnell und effizient Lager- und Fördertechnikkomponenten von Viastore Systems anzubinden“, so der Prismat-Mann.
Damit das Zusammenspiel zwischen Lagertechnik und SAP EWM beziehungsweise SAP EWM/MFS sehr gut funktioniert, müssen für Thomas Schmid allerdings die Rahmenbedingungen stimmen. „Maßgeblich für ein perfektes Zusammenspiel ist die Schnittstelle zwischen SAP EWM/MFS und der Automatisierungstechnik. Seit SAP EWM 9.4 bietet SAP die Möglichkeit, direkt aus SAP EWM mit der Automatisierungstechnik zu kommunizieren.“
Sein Unternehmen hat die direkte Schnittstelle zwischen SAP EWM/MFS und der Lagertechnik in verschiedenen Projekten erfolgreich eingesetzt. „Voraussetzung ist hierfür, dass die Schnittstelle auf Seite der SPS kompatibel ist. In Retrofit- beziehungsweise Ablöseprojekten sollte, falls die vorhandene Schnittstelle nicht SAP-EWM/MFS-kompatibel ist, optimalerweise eine Anpassungen der SPS einer Lösung mit einem Schnittstellenkonverter vorgezogen werden“, ist Schmid sicher.
Schlüssel Integrationsfähigkeit
Für Matthias Kraus von Leogistics beschränken sich die Möglichkeiten der Anbindung von Automatisierungstechnik nicht nur auf konventionelle Automatikgewerke, wie zum Beispiel Fördertechnik oder Regalbediengeräte (RBG). „Durch flexible Nutzung der Push-Channel-Technologie kann eine Vielzahl von Technikkomponenten an SAP EWM angebunden werden. So werden auch Szenarien wie Schrankensteuerung, Nummernschilderkennung oder die Integration von Datenbrillen möglich“, sagt Kraus. Die um sich greifende Digitalisierung und die Vernetzung profitierten von dieser starken Integrationsmöglichkeit und es werde eine systemseitige Abdeckung der End-to-End-Prozesse ermöglicht. Kraus: „Die direkte Integration wird seit Jahren weltweit von verschiedensten Kunden genutzt und stellt eine robuste und ausfallsichere Integrationslösung der Steuerungsebene in die Ebene der Lagerverwaltung dar.“
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