Expertenbeitrag

 Heiko Hitzhuber

Heiko Hitzhuber

Business Development Manager bei Miebach Consulting

Management Der Brexit und die Logistik – abwarten oder aktiv werden?

Autor / Redakteur: Heiko Hitzhuber / Sebastian Hofmann

Europa wird demnächst um ein Stück kleiner. Noch weiß keiner genau, welche Auswirkungen das haben wird. Dass es allerdings Auswirkungen haben wird, ist unbestritten. Was also kommt auf die Logistik zu und was sollten Verantwortliche tun?

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Großbritannien verlässt die EU – so viel steht wohl fest. Doch was bedeutet der Brexit für die Logistik und das Supply Chain Management?
Großbritannien verlässt die EU – so viel steht wohl fest. Doch was bedeutet der Brexit für die Logistik und das Supply Chain Management?
(Bild: ©theaphotography - stock.adobe.com)

Die gesamte politische Debatte um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist geprägt von Unsicherheit. Neben dem ungewissen Ausgang der Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU sind die Folgen der Verhandlungsergebnisse noch unabsehbar. Dabei bleibt noch nicht einmal ein Jahr Zeit für die Entscheidungen – und dann sind sie noch lange nicht umgesetzt. Ganz aktuell warnt sogar die EU-Kommission vor einem „Brexit-Desaster“.

Was kann logistisch passieren?

Was all dies für die englische Wirtschaft, Währung und den Markt bedeutet, bleibt hier erst einmal außen vor – aber selbst ohne diese Punkte zu betrachten, kann man heute schon Szenarien entwickeln, die aufzeigen, welche logistischen Herausforderungen der Brexit mit sich bringen wird. Zwar steht der Finanzsektor mit angedrohten Standortverlagerungen medial seit einiger Zeit verstärkt im Fokus, für die Logistik – egal ob Dienstleister oder Hersteller – wird der Brexit aber ebenfalls zu einer großen Herausforderung.

Dieses Video gibt Ihnen eine kurze Zusammenfassung zum Thema Brexit!

Auch wenn es logistisch noch nie wirklich einfach war, den Ärmelkanal zu überwinden, können durch den Austritt Großbritanniens aus der EU weitere Hemmnisse entstehen. Zölle, Lkw-Wartezeiten bei der Grenzabfertigung oder Behinderungen im Hafenumschlag und Bahntransport sind nur einige offensichtliche logistischen Probleme, die auftreten werden.

Schlimmstenfalls könnte der Brexit dazu führen, dass ein freier Waren- und Personenverkehr nicht nur erschwert wird, sondern ganz zum Erliegen kommt. Aber selbst wenn „nur“ anfangs – bedingt durch Unsicherheiten – in Randbereichen Verzögerungen entstehen, kann dies große Auswirkungen auf die logistische Lieferkette haben.

Ein relativ einfacher Punkt scheinen auf den ersten Blick zu erwartende Zölle zu sein: Zollabwicklung ist heute standardisiert, es gilt also, nur die neuen Zolltarife einzuspielen. Gerade in der ersten Zeit neuer Handelsbeziehungen kann es aber auch hier zu vielen Ungereimtheiten kommen – und schon bleibt der Lkw mit den dringend benötigten oder verderblichen Gütern stehen.

Eine „einfache“ wie naheliegende Vermeidungsstrategie besteht in der Einrichtung neuer Logistiklager auf beiden Seiten des Kanals, um das Wegbrechen ganzer Märkte zu verhindern. Die ersten Unternehmen bereiten sich bereits vor. So gibt es in der letzten Zeit vermehrt Anfragen kontinentaleuropäischer Betriebe zu Standortfragen in Großbritannien. Aber auch umgekehrt bereiten sich britische Firmen durch die Suche und den Aufbau von Standorten und Strukturen außerhalb von Großbritannien auf den Brexit vor. Dies ist ein nachvollziehbarer Schritt, der jedoch manchmal nicht ausreicht und zu deutlich höheren Kosten führen wird. Insofern bedarf es vielfach einer weitaus komplexeren Analyse und kosteneffizienteren Antwort auf die Folgen des Brexits.

Wie auf den Brexit vorbereiten?

Die Analyse der Frage bezüglich der Folgen des Brexits für Ihr Unternehmen beginnt mit der einfachen Frage: Was kann der Austritt Großbritanniens aus der EU für mein Unternehmen und mein Supply Chain Management bedeuten? Hier gilt es nicht nur, den Absatzmarkt zu betrachten, sondern auch die Lieferanten (und deren Lieferanten). Wissen Sie, welche Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Sie aus Großbritannien beziehen? Was passiert, wenn hier keine Lieferungen mehr eintreffen, oder mit 1, 2, vielleicht vier Wochen Verzögerung?

Entwickeln Sie Ihr Worst Case Szenario und prüfen Sie mögliche Risiken und Beeinträchtigungen in Ihrer Supply Chain – und zwar der gesamten Supply Chain. Eine Eintrittswahrscheinlichkeit zu prognostizieren wäre zwar wünschenswert, dies scheint aber zur Zeit schlecht möglich.

Noch haben Sie Zeit, Ihre Lieferkette zu überprüfen: Welche Güter kommen aus Großbritannien? Welche Folgen hat eine mögliche Lieferverzögerung von mehreren Wochen?
Noch haben Sie Zeit, Ihre Lieferkette zu überprüfen: Welche Güter kommen aus Großbritannien? Welche Folgen hat eine mögliche Lieferverzögerung von mehreren Wochen?
(Bild: gemeinfrei / CC0 )

Lösungen für Logistiker

Auf der Inbound-Seite gilt es, Redundanzen aufzubauen, Lieferanten zu finden, die in der Lage sind, auch ohne Produktionsstätten in Großbritannien lieferfähig zu sein und zu bleiben. Hier sollte man – gerade bei kritischen (Vor-)Produkten genauer hinschauen: Vielleicht sind Sie nicht der einzige Kunde, der eine solche Idee hat? Obwohl schon lange vom „Single Sourcing“ abgeraten wird – was nutzt es, wenn mehrere Ihrer Hauptzulieferer ausschließlich auf Vorprodukte aus Großbritannien angewiesen sind? Deshalb: Analysieren Sie Ihre Zuliefererkette! Für die wichtigsten Artikel scheint das einfach. Gerade bei C-Artikeln kann dies aufwendig werden, ist aber nicht weniger wichtig. Hier lohnt ein genauerer Blick!

Absatzmarkt Großbritannien

Sollte Großbritannien für Sie ein wichtiger Absatzmarkt sein, gilt es, zu prüfen, welche Maßnahmen Sie zur Sicherstellung der Versorgung Ihrer Kunden heute schon treffen können. Dabei reichen allerdings einfache Verträge mit Distributoren längst nicht aus, denn nicht die Distribution ist der Knackpunkt, sondern der kontinuierliche Nachschub der Waren nach Großbritannien – auch in einem zu erwartenden „chaotischen Zeitraum“, der von einer Übergangszeit und neuen Regularien geprägt sein wird. Einige unserer Kunden reagieren derzeit bereits mit einer Reorganisation Ihres europäischen Logistik-Set-Ups – aber ist dies wirklich eine optimale Lösung und – wenn ja – für welche Sortimente und Kunden?

Es ist wichtig, jetzt schon zu untersuchen, welche Maßnahmen man künftig zu Sicherstellung der Belieferung von Abnehmern treffen kann, die in Großbritannien sitzen.
Es ist wichtig, jetzt schon zu untersuchen, welche Maßnahmen man künftig zu Sicherstellung der Belieferung von Abnehmern treffen kann, die in Großbritannien sitzen.
(Bild: gemeinfrei / CC0 )

Abwarten oder aktiv werden?

„Nichts Genaues weiß man nicht“ – zur Zeit gibt es keinen Ratschlag, der eine erfolgreiche Lösung garantiert. Noch aber ist Zeit, verschiedene Szenarien zu entwerfen, zu prüfen und Problemstellungen zeitgerecht zu evaluieren, um Maßnahmen in die Wege zu leiten. Konkrete Schritte umzusetzen muss nicht unbedingt notwendig sein, zumindest sollte man aber aktiv werden, um beim Eintritt verschiedener Szenarien handlungsfähig zu bleiben. Alternativ gilt noch immer: Eine Strategie des robusten ersten Schrittes kann nicht falsch sein – nichts tun aber schon!

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