Kommissioniertechnik Individuelle Buchproduktion und Omnichannel-Logistik

Von Robert Weber

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Der Buchdienstleister Libri erweitert sein Omnichannel-Logistikzentrum im hessischen Bad Hersfeld um Plureos, das größte Print-on-Demand-Druckzentrum Europas. Damit will man der wichtigsten Herausforderung seines Geschäftsmodells, der Geschwindigkeit, gerecht werden. Zusammen mit Projektpartner Witron werden dabei Handelslogistik und Produktionslogistik verbunden.

DPS-Fördertechnik bei Libri für kanalübergreifende Prozesse: Die hochdynamische Kommissionierung wird durch statische und dynamische Bereitstellung der Bücher unterstützt.
DPS-Fördertechnik bei Libri für kanalübergreifende Prozesse: Die hochdynamische Kommissionierung wird durch statische und dynamische Bereitstellung der Bücher unterstützt.
(Bild: Libri/BoD)

Die Idee ist nicht neu: Bereits 1997 entstand beim Buchgroßhändler Libri das Konzept für Verlage und Autoren, Bücher über Print on Demand ab Auflage 1 samt Vertrieb über den gesamten Buchhandel zu veröffentlichen. Aus der Idee entstand die Schwesterfirma BoD, die heute europäischer Vorreiter und führender Spezialist im Bereich der digitalen Buchpublikation und im Self-Publishing ist. Im Firmenverbund investieren Libri und BoD nun in die Zukunft des Buchmarkts und errichten mit Plureos das größte und modernste Print-on-Demand-Zentrum Europas. Das Ziel am Logistikstandort Bad Hersfeld: Mit Fertigstellung im Herbst 2021 werden künftig Millionen nationale und internationale Titel dauerhaft, über Nacht und in nachhaltiger Produktion für Leserinnen und Leser verfügbar sein.

Mit der lückenlosen Integration der Print-on-Demand-Produktion von BoD in die Buchhandelslogistik von Libri wird sich die Produktion und Lieferzeit von Paperback-Titeln von zwei bis drei Tagen auf einen Tag verkürzen. In Zukunft wird es damit keinen zeitlichen Unterschied mehr zwischen lagernden und frisch gedruckten Büchern geben. Realisierungspartner für das Projekt ist der Oberpfälzer Systemintegrator Witron Logistik + Informatik.

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Somit betreibt Libri eines der weltweit leistungsstärksten Omnichannel-Logistikzentren in der Branche. Das Verteilzentrum in Bad Hersfeld beliefert kanalübergreifend 3.800 stationäre Buchhandlungen unterschiedlicher Größe sowie 1.200 Internetshops. Dabei können Bücherfreunde, die nicht im Shop einkaufen wollen, ebenso über die Onlineplattformen der Libri-Vertragshändler bestellen und sich das Buch direkt aus Bad Hersfeld nach Hause liefern lassen.

Verantwortlich für das Projekt ist Jörg Paul, COO des Buchgroßhändlers. „Die Verbindung von Druck, Logistik und schnellem Versand mit Plureos ist europaweit einmalig in der Branche“, freut sich Paul.

Modernisierung und Neugeschäft

Im Oktober 2020 feierten die Mitarbeiter das Richtfest der neuen Halle mit einer Grundfläche von 10.000 m². „Im unteren Geschoss ist die Anlieferung für die Druckmaschinen, die Print-on-Demand-Produktion und die Papierlager. Die Logistik und Fördertechnik installieren wir im oberen Geschoss“, erklärt Paul. Bis zu 50.000 Bücher pro Tag werden in Zukunft mit Plureos gedruckt und über Nacht versendet. Auch ein Fast-Track-Prozess für besonders zeitkritische Bestellungen ist geplant. Libri versteht sich als Dienstleister rund ums Buch für Verlage und Buchhändler – und eröffnet beiden Partnern neue Absatzwege.

„Mit dem neuen Druck- und Logistikzentrum reduzieren wir Lagerkosten, erhöhen die Titelverfügbarkeit im Buchhandel und haben weniger Rückläufer“, rechnet Paul vor. „Die Herausforderung und gleichzeitig der Erfolgsfaktor in dem Geschäftsmodell ist die Geschwindigkeit. Wir müssen genauso schnell sein oder sogar schneller als die klassische Lagerware.“ Mit dieser Forderung konfrontierte Libri Ulrich Schlosser. Schlosser verantwortet die Modernisierungsprojekte bei Witron und kennt Libri seit vielen Jahren. Die Oberpfälzer realisierten schon das bestehende Logistikzentrum. Weit mehr als 700.000 Bücher werden hier pro Tag für Filial- und Onlinekunden kommissioniert. „Wir dachten erst mal, die Libri-Kolleginnen und -Kollegen wollen ihre Anlagen modernisieren. Wer rechnet denn mit einem ganz neuen Materialfluss“, scherzt Schlosser. IT-Systeme müssen auf den neuesten Stand gebracht werden, die Steuerungs- und Regeltechnik sämtlicher Regalbediengeräte und der gesamten Fördertechnik bekommen ein Update. Doch dieses Modernisierungsprojekt ist wesentlich umfangreicher, umfasst auch einen neuen Materialfluss. „Wir modernisieren und verändern parallel, und das während des laufenden Betriebes, sozusagen ein Eingriff am offenen Herzen“, erklärt Schlosser.

Ein neuer Wareneingang

Der zukünftige Prozess: Die Druckmaschinen sind mit dem ERP-System verbunden und tauschen Daten aus. Aus dem ERP erhalten auch die Witron-Logistiksysteme die Informationen über die zu druckenden Bücher, die Versandfenster und Kundendaten. Wenn das Buch gedruckt wurde, wird es automatisch aus der Maschine auf die Fördertechnik gesetzt. Das Buch aus der Druckmaschine ist für das System ein zweiter Wareneingang. Sobald das Buch die Maschine verlässt, erkennt das System mittels Barcode das Buch und führt es im Witron-WMS. Dort verarbeitet das System die Informationen, ob es sich um Einzelpositionen oder Mehrfachpositionen handelt.

Das Buch kommt in eine Wanne und fährt entweder direkt zum Kommissionierplatz oder in einen Puffer – 20 neue Mitarbeitende in der Logistik in Früh- und Spätschicht sucht Paul, die durch Technik in der Kommissionierung unterstützt werden. „Wir nutzen unter anderem dynamische virtuelle Pickfronten“, berichtet Paul. Neben Kommissionierern sucht er Techniker und Drucker.

Im Puffer wartet das individuell gedruckte Buch unter Umständen auf Schnelldreher aus dem Bestandslager. „Der Kunde bestellt einen Bestseller und einen Titel als Print on Demand.“ Beide Bücher führt die Technik zusammen und transportiert sie dann wieder zu einem Kommissionierplatz. Im Schnelldreherbereich arbeitet Libri mit dem Dynamic Picking System (DPS) von Witron.

Witron-DPS für kanalübergreifende Prozesse

Das DPS arbeitet nach dem Prinzip „Ware zum Mann“/„Mann zur Ware“. Die Artikel befinden sich im DPS, abhängig von der Auftragsstruktur, permanent beziehungsweise bedarfsgerecht in der Pickfront, wodurch diese stets optimiert ist. Die Klassifikation der Artikelstruktur wird durch das DPS kontinuierlich überprüft und angepasst. Dabei wird die semiautomatische Kommissionierung durch ein Pick-by-Light-System unterstützt. Konzipiert für die Anforderungen des Omnichannel-Handels können die Artikel für Filialbestellungen in Versandwannen und für Onlinebestellungen in einem Pick-and-pack-Verfahren in den Versandkarton kommissioniert werden. Das Replenishment der im Behälterlager integrierten Kommissionierzonen erfolgt ausschließlich systemgesteuert durch Regalbediengeräte.

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WMS und Materialflussoptimierungen

„Die Herausforderung in dem Projekt liegt in der IT. Wir müssen die Zeitfenster abstimmen, die Puffer auslegen und das Bestandssystem mit den Informationen füttern“, berichtet Schlosser. Zu den 156 Behälter-Regalbediengeräten im alten Lagerbereich installieren die Techniker noch einmal zusätzliche Geräte in der Pufferzone des neuen Buchdruckbereiches.

Leistungsstarkes Verteilzentrum
Daten und Fakten
  • Größe Logistikzentrum: 215.000 m²/975.000 m³
  • Größe Druckzentrum (Plureos): 20.000 m²
    (verteilt auf zwei Geschossebenen)
  • Anzahl Kunden: circa 5.000 (3.800 stationäre Buchhandlungen + 1.200 Internetshops)
  • Anzahl Artikel: 800.000 auf Lager -> über 7 Mio. Besorgungsartikel
  • Palettenstellplätze: 25.000
  • Wannenstellplätze: 570.000
  • Anzahl Picks/Spitzentag: 730.000 Exemplare/Tag
  • Anzahl Picks/Spitzentag (Plureos):
    50.000 Bücher/Tag
  • Kommissionierarbeitsplätze im DPS: 104
  • Kommissionierarbeitsplätze (Plureos): 8
  • Fördertechnik: mehr als 20 km
  • Anzahl Regalbediengeräte: 156
  • Pufferfahrzeuge (Plureos): 5

Schlosser und Paul verbinden eine Handelslogistik mit der Produktionslogistik. „Das Projekt ist auch für uns eine Besonderheit“, unterstreicht Schlosser. Doch solche Projekte könnten auch in Zukunft in anderen Branchen an Bedeutung gewinnen. Additive Fertigungsverfahren verändern das Ersatzteilgeschäft beispielsweise in der Automobilindustrie. „Wenn der 3D-Druck den Prototypenstatus verlässt, dann werden wir ähnliche Ansätze auch in anderen Branchen sehen“, ist Schlosser überzeugt. Jörg Paul und sein Team von Libri geben einer über 500 Jahre alten Branche einen neuen Takt in der Produktion. Sie erfinden sich und ihr Geschäft neu. ■

Einen Podcast zum Projekt finden Sie hier.

* Robert Weber ist freier Fachjournalist in 97080 Würzburg. Weitere Informationen: Witron Logistik + Informatik GmbH, 92711 Parkstein, Tel. (0 96 02) 6 00-0, info@witron.de

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